Kleines, aber feines Theaterereignis

„WO MACHT IST, IST KEINE LIEBE“ Bei dem Ein-Frau-Stück des Landestheaters Tübingen in der Schuhfabrik kamen die Fans voll auf ihre Kosten   Klein, aber fein, so gestaltete sich der angekündigte „informative Gefühlsvormittag“ beim Gastspiel des Landestheaters Tübingen (LTT) in den Räumen der Alten Schuhfabrik Leonberg. Im Rahmen der Leonberger Theatertage präsentierte die Schauspielerin Insa Jebens in der Galerie im Künstlerhaus ihre Version vom „Ursprung der Liebe“ nach dem gleichnamigen Comic von Liv Strömquist. Vor einer kleinen, aber munteren Schar von Theaterbegeisterten entfachte Insa Jebens ein multimediales Feuerwerk, bestehend aus Videoschnipseln, Spielszenen, Puppentheater, Musik- und Tanzeinlagen sowie Lichtbildervortrag. Mit anschaulichen, mitunter amüsanten Beispielen aus dem populären us-amerikanischen und europäischen Kulturgeschehen näherte sie sich der Frage, was in der westlichen Welt unter Liebe verstanden wird. Sie zeigte die Abhängigkeit unseres Liebesbegriffs von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen, auch im Rückblick auf vergangene Zeiten. Am Beispiel prominenter Paarbeziehungen, von Prinz Charles und Diana über Ronald und Nancy Reagan bis zu Whitney Houston und Bobby Brown, listete sie auf, was viele gängige Beziehungen zusammenhält: mal Wiedergutmachungsansprüche, mal Hass, mal Mitleid, mal Schuldgefühle oder mehreres zusammen. Das Intimleben sei Jahrhunderte lang von einem „sexuellen Eigentumsrecht“ des Mannes über die Frau überschattet worden, das teilweise bis in die heutige Zeit fortwirke. Zur Abrundung wandte sich die Schauspielerin nach der Pause heutigen Liebesbeziehungen zu, die sie durch die Konsumgesellschaft beeinflusst, ständig von Trennung bedroht und als „private Mini-Religion“ sieht. Sie empfahl, die Kindererzeugung von der Liebe abzukoppeln und manche Ansprüche fallen zu lassen. Vor allem Machtansprüche, denn, so zitierte sie abschließend eine us-amerikanische Feministin: „Wo Macht ist, kann es keine Liebe geben.“  

Theater: Sonntagsmatinee am 21. April in der Schuhfabrik

„DER URSPRUNG DER LIEBE“ Jetzt Karten sichern für Gastspiel des Landestheaters Tübingen in der Galerie im Künstlerhaus   „Wie ist das eigentlich mit der Liebe?“, fragt sich mancher Mensch im Laufe seines Lebens und schlägt sich dann mit einigen Problemen herum. Vor einiger Zeit hat die Schauspielerin Insa Jebens den just auf Deutsch erschienen Comic „Der Ursprung der Liebe“ von Liv Strömquist gelesen, viele kleine „Ahas!“ von sich gegeben und dabei oft gelacht und auch geweint. Entstanden ist daraus das gleichnamige Ein-Frau-Theaterstück „Der Ursprung der Liebe“, das am Sonntag, 21. April, ab 11.30 Uhr als Gastspiel des Landestheaters Tübingen (LTT) im Rahmen der Leonberger Theatertage 2024 in der Galerie im Künstlerhaus Leonberg (Alte Schuhfabrik, Eltinger Straße 11) aufgeführt wird.   In dem 90-Minuten-Stück werden Männerbilder, Frauenbilder, Bilder von Menschen und Bilder von der Liebe kräftig durcheinander gerüttelt: Erzählt wird die Entstehung des Begriffs „Liebe“, wie wir ihn in unserer westlichen Welt kennen, und warum wir seinetwegen so oft mit bestimmten Erwartungen zu kämpfen haben. Theorien verschiedener Soziolog/inn/en und Psycholog/inn/en werden vorgestellt und treffen auf anschauliche Beispiele aus der Popkultur. Diese oft sehr amüsanten Geschichten teilt Insa Jebens in einem „Informativen Gefühlsvormittag“ mit den Besuchern. Karten gibt es online auf leonberg.reservix.de . Erwachsene zahlen im Vorverkauf 15 Euro, an der Abendkasse 18 Euro. Ermäßigte Tickets für Schüler, Studenten und Schwerbehinderte kosten im Vorverkauf und an der Abendkasse 10 Euro. Das vollständige Programm der Leonberger Theatertage findet Ihr hier

LaKuNa am 27. April: Kunstgenuss en passant

DIE LOKALE KUNSTSZENE GIBT SICH DIE EHRE Bereits zum 18. Mal öffnen am 27. April Ateliers, Galerien, das Künstlerhaus in der Alten Schuhfabrik und zahlreiche Pop-Up-Showrooms in der Leonberger Altstadt   Kaum zu glauben: Bereits zum 18. Mal lädt am Samstag, 27. April 2024, von 19 bis 1 Uhr die Lange Kunstnacht in der Leonberger Altstadt zum Flanieren ein. Ateliers, Galerien, das Künstlerhaus in der Alten Schuhfabrik und allerlei Pop-Up-Showrooms mit Gastkünstler/inne/n öffnen ihre Türen. An insgesamt über 20 Stationen lassen sich neueste Kunst sowie hie und da ein edler Schluck und leckere Häppchen genießen. Mit dabei sind selbstverständlich auch wieder die drei Gemeinschaftsateliers, die Galerie und die vhs-Kunstschule in der Alten Schuhfabrik. Der Eintritt ist frei.   In diesem Jahr sind in der Galerie im Künstlerhaus (Erdgeschoss) die Künstler/innen des KreativWerks atrio zu Gast. Das Atelier Guggenbiller/Biesdorf (durch den Hof, hinterer Eingang, 1. OG) bietet Kindern und Junggebliebenen, die Spaß am Spiel haben, an, in der Zeit von 19 bis 20 Uhr Farbkreisel aus alten CDs zu gestalten. In den Räumen der vhs-Kunstschule gibt es neben den neuesten Tier- und Pflanzenbildern der französischen Malerin Aurélie Cholley dieses Jahr erstmals Pastellkreide-Werke des Weissacher Malers Roland Maier zu sehen. Und auch der im Haus ansässige Verein Kulturfabrik e.V., der den Ausbau der Alten Schuhfabrik zum Kulturzentrum anstrebt, präsentiert sich und seine Aktivitäten.   Das vollständige Programm einschließlich Laufplan und dem Angebot in der Alten Schuhfabrik (ab Seite 21) gibt es hier (bitte klicken).

Schwäbische Comedy: Gelungene Premiere in der Steinturnhalle

„GSCHEIDLE“ UND „HÄMMERLE“ LOCKEN PUBLIKUM AUS DER RESERVE Verein Kulturfabrik und Kulturamt ziehen positive Bilanz des Kabarett-Wochenendes mit zwei Meistern des schwäbischen Humors   Es war ein Wagnis – und es hat sich gelohnt: Das erste Wochenende mit schwäbischem Kabarett in der Leonberger Steinturnhalle wurde vom Publikum gut angenommen. Rund 70 Besucher am Freitag- und etwa die doppelte Anzahl am Samstagabend können als positives Zeichen für den vom Verein Kulturfabrik und dem städtischen Kulturamt nach der Pandemie eingeläuteten Neustart in Sachen Kleinkunst gewertet werden.   Den Auftakt machte am Freitagabend Marcus Neuweiler alias Alois Gscheidle mit seinem Programm „Rei´gschmeckt“. Publikumsnähe war von der ersten Minute an garantiert. Ob in seiner Rolle als gestrenger Hausmeister, knitzer Ehemann oder penible Hausfrau, stets schaffte es der Unterhalter, seine Zuhörer in das urig-komische Geschehen einzubinden. Etwa indem er Einzelne direkt ansprach wie bei der Einteilung in Einheimische und Zugezogene („Rei´gschmeckte“), indem er ihnen kleine Aufgaben zuwies oder den ganzen Saal zum Mitmachen animierte – wie beim Nachsprechen echt schwäbischer Zungenbrecher. Zum allgemeinen Vergnügen kamen jede Menge schwäbische Marotten zur Sprache, vom sprichwörtlichen Sauberkeitsfimmel (Kehrwoche und Mülltrennung) über die Schwäche für selbsterzeugten Alkohol (Moschtfässle) bis zur Vorliebe für die leichte Muse (Gesangsverein). Alles gewürzt mit heiter-trockenem, gelegentlich auch derb-schlüpfrigem Humor, überraschenden Lebensweisheiten und kuriosen Kurzgeschichten.   Am Samstagabend nahm dann Bernd Kohlhepp im froschgrünen Anzug seine Zuschauer mit auf eine rasante Frühjahrsputz-Tour unter dem Motto „Hämmerle räumt auf“. Was kam da nicht alles zutage? Die mit Jagdtrophäe, Globus, Kisten und allerlei sonstigem „Kruscht“ ausstaffierte Bühne war noch das Wenigste. Dienten doch all diese Requisiten nur als Stichwortgeber für situationsbedingte Einfälle, die an einem Abend so, an einem anderen Abend ganz anders verlaufen können. Denn der schwäbische Komiker, das wurde vom ersten Augenblick an klar, ist nicht nur Meister der Improvisation, sondern auch ein begnadeter Animateur und Unterhalter. Seine über den Abend verstreuten Interaktionen mit Besuchern ließen an Schlagfertigkeit, schwäbischem Mutterwitz und Geistesgegenwart nichts vermissen. Wer nicht gerade in den ersten Reihen saß, amüsierte sich köstlich. Hier ein Spontanreim auf den schwäbischsten aller Flüsse, den „Necker“, dort ein kalauernde Umdichtung von Goethes „Zauberlehrling“ oder eine skurrile Alltags-Story, sei es über ein Urlaubserlebnis oder einen Wortwechsel in der Bäckerei, gelegentlich angereichert mit lokalen Anspielungen. Stets schimmerten urschwäbische Tugenden durch wie etwa die sprichwörtliche Sparsamkeit, Bauernschläue oder Maulfaulheit (Urlaut „Hhhö?“). Neben Dingen und Erinnerungen räumte „Hämmerle“ auch mit alten Songs aus Omas Plattenschrank auf, indem er sie schwäbisch neu interpretierte und ganz nebenbei seine Qualität als Sänger unter Beweis stellte. Aus dem Carpenters-Hit „Please Mr. Postman“ zum Beispiel wurde „In den Moschd nei“, Bobby McFerrins „Don´t worry, be happy“ verwandelte sich in „Baby, des bepp i“. Sehr zum Vergnügen des Publikums, das den jeweiligen Refrain beizusteuern hatte. Die Lacher schwollen zum Begeisterungssturm, als der schwäbische Entertainer zum krönenden Abschluss ein „Liebeslied“ anstimmte. Seine Verse bestanden aus über den ganzen Abend hinweg herausgekitzelten Stichworten, mit denen er seinen unfreiwilligen Mitspieler/innen aus der ersten Reihe ein liebevolles musikalisches Denkmal setzte. Eine Fotogalerie vom Kabarett-Wochenende finden Sie hier

Vorverkauf läuft: Schwäbische Comedy mit „Gscheidle“ und „Hämmerle“ am 8. und 9. März

KABARETT-KARTEN JETZT ZU VERGÜNSTIGTEM PREIS BESTELLEN Verein Kulturfabrik und Kulturamt veranstalten am 8. und 9. März 2024 ein Kabarett-Wochenende in der Steinturnhalle   Weder die Weltlage, noch die Situation vor Ort geben derzeit viel Anlass zu Heiterkeit. Umso wohltuender ist es für das seelische Gleichgewicht, mal wieder richtig „abzulachen“ – über all die Absurditäten und Zumutungen, die der Alltag uns beschert. Eine prima Gelegenheit dazu bietet das vom Verein Kulturfabrik e.V. initiierte Wochenende mit schwäbischem Kabarett/Comedy am 8. und 9. März 2024 in der Leonberger Steinturnhalle, Steinstraße 5. Der Kartenvorverkauf läuft auf Hochtouren. Den Anfang macht am Freitag, 8. März, „Alois Gscheidle“ alias Marcus Neuweiler mit seinem Programm „Rei´gschmeckt“. Dabei nimmt der fernsehbekannte Urschwabe nicht nur die Zugereisten, sondern auch die gebürtigen Schwaben aufs Korn. Schlitzohrig, hintersinnig und gscheid! Alois Gscheidle hält dem Publikum den Spiegel vor: Als Hausmeister sorgt er für schwäbische Zucht und Ordnung, als Hausfrau kümmert er sich um die Müllproblematik und abends geht er in seine geliebte Singstunde. Marcus Neuweiler ist Meister der Spontaneität und Improvisation. Seine Stücke inszeniert er gern mitten im Publikum. Am Samstag, 9. März, unterzieht dann der mehrfache Kleinkunstpreisgewinner Bernd Kohlhepp unter dem Motto „Hämmerle räumt auf“ seinen „Kruscht“ vom Keller bis zum Speicher einem Zukunftscheck. Um endlich Platz für neues „Glomp“ zu schaffen, gilt es zu klären: Was ist wirklich zukunftsfähig? Hämmerles Lösungsstrategien sind legendär, seine Erkenntnisse verblüffend. Den Ungereimtheiten des Alltags stülpt er kurzerhand seine schwäbische Weltordnung über und macht sie passend, wo’s klemmt. Bernd Kohlhepp beherrscht Improvisations-Theater und Pantomime, ist Sänger, Buchautor, Mundart-Dichter und Filmemacher zugleich. Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr, Einlass um 19 Uhr. Die Veranstaltung ist eine Kooperation mit dem Kulturamt der Stadt. Karten: im Vorverkauf 22 Euro / Schüler, Azubis, Studierende 10 Euro (unter: reservix.de oder in der Leonberger Stadthalle, Mail stadthalle@leonberg.de, Tel. 07152 9755-0; an der Abendkasse 25 Euro / Schüler, Azubis, Studierende 12 Euro.

Gelebtes Kulturareal: Tanzen in Schuhfabrik und Steinturnhalle

„SWEET & TEXAS“ – LINE DANCER TRAINIEREN IN GALERIERÄUMEN Im Rahmen seiner „Line Dance Workshop & Party“ in der Steinturnhalle gastiert der Höfinger Verein „Dance & Fit“ in der Galerie im Künstlerhaus   „Kick, Step forward, Right heel twist, Heels swivel 1/4 turn left, Hook back …“, hieß es am Samstagnachmittag, 25. November, in der Galerie im Künstlerhaus. Der Höfinger Verein „Dance & Fit e.V.“ hatte zum „Line Dance Workshop & Party“ in die benachbarte Steinturnhalle geladen. Aber weil die Halle nur Platz für sechs Fortgeschrittenen-Kurse bot, fanden die Anfänger-Kurse, ebenfalls sechs an der Zahl, in der Alten Schuhfabrik statt. Ein weiteres Beispiel, dass das vom Verein Kulturfabrik Leonberg e.V. vorgeschlagene „Kulturareal“ aus Alter Schuhfabrik und Steinturnhalle Sinn macht. Im Schnitt 20 „Beginners“ studierten im größeren der beiden Galerieräume dreieinhalb Stunden lang unter Anleitung wechselnder Trainerinnen die Schrittfolgen von Songs wie „Sweet & Texas“, „Drives me crazy“ oder „Pollina Reggae“ ein. Und sie hatten sichtlich und hörbar Spaß dabei. Für die Aufwärmphase behalf man sich mit einer mobilen Infrarot-Heizung.                         „Wir sind Galerie-Inhaberin Carina Straub und dem Verein Kulturfabrik dankbar, dass wir in der Schuhfabrik zu Gast sein durften“, betonte die Vorsitzende von „Dance & Fit“, Silke Falkner. Sie stellte zugleich fest, dass es in Leonberg nicht genug Räumlichkeiten für solche Events gebe. Zusammen mit ihren Trainerkollegen Silke Menger aus Freiberg am Neckar, Oliver Vonier aus Sindelfingen und anderen unterrichtete Silke Falkner in der Steinturnhalle die Fortgeschrittenen. Auf dem Programm standen anspruchsvolle Choreografien zu Songs wie „Love, Love“, „Keep on Holding“ und „Chicag-Uh-Oh“. Neben Line Dance bietet der rund 130 Mitglieder zählende Verein „Dance & Fit“ auch Standard-Lateinkurse, Kindertanz sowie verschiedene Fitness-Kurse an.                         Gegen Abend gingen die Workshops fast nahtlos in die angekündigte Party in der Steinturnhalle über. Ein Küchenteam sorgte unter anderem mit Kaffee und Kuchen, Erfrischungsgetränken und verschiedenen Wraps für das leibliche Wohl der Gäste. Auffällig: Die für das Line Dance-Ursprungsland USA typische Country-Musik war eher die Ausnahme. Mit dem Tanzfilm „Saturday Night Fever“ sei der „Modern Line Dance“ in Form einer Disco-Welle Ende der 1970er Jahre nach Deutschland herübergeschwappt, erläuterte Trainer Oliver Vonier. Auch in der Schuhfabrik und der Steinturnhalle tanzten die insgesamt rund 70 Teilnehmerinnen – Männer waren rar – überwiegend zu Disco-Pop-Titeln. Jede für sich und doch gemeinsam. Und alle dieselben Tanzfiguren. „Das Schöne ist, dass man ohne Partner tanzen kann und trotzdem zusammen“, meinte Wilja Pönitz aus Leonberg. „Dass man keinen Partner braucht, um tanzen zu gehen“, war auch für Oliver Vonier vor Jahren die Motivation, vom traditionellen Paartanz auf Modern Line Dance umzusteigen. Mittlerweile gebe es auch Choreografien für Hiphop-, House-, Latino- und sogar Soul-Musik, so der Trainer. „Nett“ fand Wilja Pönitz auch, dass die Besucherinnen aus verschiedenen, teils sogar weiter entfernten Orten kamen. Auf Line Dance Partys treffe man sich immer wieder und könne sich mit Gleichgesinnten austauschen. Bis in die Nacht hinein wurde ausgelassen getanzt und gefeiert.

Ehemaliges KZ in Leonberg: Wir begleiteten eine Gruppenführung

UNBEQUEME ERINNERUNGEN AN NS-VERBRECHEN UND UNMENSCHLICHE GLEICHGÜLTIGKEIT Freiwillige der KZ-Gedenkstätteninitiative bewahren die Leiden der Zwangsarbeiter von 1944 und 1945 vor dem Vergessenwerden   Für viele ist die Nazi-Diktatur unsagbar weit weg, kaum noch nachvollziehbar. Und doch muss man nur einen Blick in die Hasskommentare im Internet, auf populistische Realitätsverweigerer und Tatsachenverdreher oder auf die rechtsextremen Gewalttaten der letzten Jahre werfen, um eine Ahnung davon zu bekommen, in was für einem gesellschaftlichen Umfeld die Nationalsozialisten ihre Verbrechen begehen konnten. Auch in Leonberg. Sogar in direkter Nachbarschaft zur heutigen Alten Schuhfabrik. In seiner Satzung bekennt sich der Verein Kulturfabrik Leonberg e.V. unter anderem auch zu internationaler Zusammenarbeit und Völkerverständigung. Wir haben uns daher einer jener Gruppenführungen auf dem „Weg der Erinnerung“ angeschlossen, mit denen Freiwillige der 1999 gegründeten KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg (KZGIL) das Andenken an die aus fast ganz Europa zusammengetriebenen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vor Ort wach halten. An einem Sonntagvormittag Ende Oktober treffen wir uns mit rund einem Dutzend interessierter Frauen und Männer vor dem Alten Friedhof an der Seestraße, der ersten von fünf Stationen auf dem „Weg der Erinnerung“. KZGIL-Mitglied Holger Korsten verteilt laminierte Schilder mit aufgedruckten Nummern von damaligen KZ-Häftlingen und fasst stichwortartig die politische Lage vor 79 Jahren zusammen: Im Herbst 1944 war die Nazi-Diktatur an allen Fronten in der Defensive. Gleichzeitig füllten sich zwei eilends in der oberen Seestraße in Leonberg errichtete „Arbeitslager“ mit immer mehr Häftlingen. Gefangene und Verfolgte aus 24 europäischen Ländern, darunter viele Polen, Russen und Ukrainer, aber auch Franzosen, Italiener und verfolgte Deutsche, mussten seit Mitte September 1944 unter unmenschlichen Bedingungen im alten Engelbergtunnel Tragflächen für den ersten seriengefertigten Düsenjäger ME 262 zusammenbauen. Dieser war Teil des „Wunderwaffen“-Programms“, von dem sich das Regime noch den „Endsieg“ im Zweiten Weltkrieg erhoffte. Laut Holger Korsten gingen seit Dezember 1944 Hunderte der insgesamt 5.000 Häftlinge an den katastrophalen Hygiene- und Haftbedingungen zugrunde. Aus einem Massengrab am Blosenberg wurde ein Teil der gestorbenen Lagerinsassen erst auf Anordnung der französischen Militärregierung nach Kriegsende zur Bestattung auf den Alten Friedhof umgebettet. Korsten zeigt auf den großen Gedenkstein auf dem Friedhof: „Hier steht nichts von Zwangsarbeitern, man könnte meinen, die Toten seien Soldaten gewesen.“ Zweite Station ist ein Bauernhof. Er markiert heute noch die Stelle, an der die Seestraße damals durch ein Tor der SS gesperrt war. Ein perfides System der Aufsichtsdelegation an einzelne „Funktionshäftlinge“ habe dafür gesorgt, dass nur 120 SS-Aufseher mehrere tausend Gefangene in Schach halten konnten, so Holger Korsten. Wo früher die Baracken des sogenannten „neuen Lagers“ standen, befindet sich heute das Samariterstift, die dritte Station auf dem Weg. Im Vorraum eines Seiteneingangs des Samariterstifts versammelt sich die Gruppe um ein Modell des KZ Seestraße. Die Teilnehmer/innen stellen Fragen, es wird engagiert diskutiert. Holger Korsten ruft wie an jeder Station eine der ausgegebenen Häftlingsnummern auf. Der jeweils angesprochene Teilnehmer liest den auf der Rückseite des Schilds aufgedruckten Bericht vor. So erfahren die Besucher von erschütternden Häftlingsschicksalen, darunter ein deportierter Ukrainer, ein frommer Jude und ein 15-jähriger Résistance-Angehöriger. Sie erfahren auch von den sehr, sehr wenigen Leonbergern, die nicht gleichgültig wegschauten, sondern heimlich und mit dem Risiko drakonischer Strafen einzelnen Häftlingen halfen. Eine dieser mutigen Menschen war die 1980 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrte Margarete Stingele, nach der ein Weg in Leonberg benannt ist. An der Ecke Römer-/Seestraße, der vierten Station, war der von einem Wachturm gesicherte Ausgang des „alten Lagers“. Ein Teilnehmer verliest den Bericht eines Überlebenden: Frühmorgens im Winter wurden die Häftlinge in Fünfer-Kolonnen unter Schlägen, unterernährt und mangelhaft bekleidet zur Zwangsarbeit in die nahe gelegenen Tunnelröhren getrieben. Auf den Spuren der Gepeinigten erreicht die Gruppe die fünfte und letzte Station, den ehemaligen Autobahntunnel. „Unsere Aufgabe ist es, den von den Nazis zur bloßen Nummer herabgewürdigten Häftlingen ihre menschlichen Namen zurückzugeben“, erklärt Holger Korsten vor der großen rostbraunen Namenswand auf dem Vorplatz des alten Autobahntunnels. Die eigentliche Gedenkstätte befindet sich in den letzten 30 Metern des ersten deutschen Autobahntunnels, die nicht mit Aushub vom A 8-Ausbau vor wenigen Jahren verfüllt wurden. Drinnen erläutert Holger Korsten unter anderem die Landraub- und Vernichtungspolitik der Nazis, die sogar von einem einheimischen Amtsarzt attestierten „unhaltbaren“ sanitären Zustände in den Lagern und die Mitverantwortung von Industriellen wie Messerschmitt für die Gräueltaten. Nach rund drei intensiven Stunden müssen die meisten das Gesehene und Gehörte erst einmal verarbeiten. An einem Büchertisch liegt weiterführende Literatur aus. Sicher lohnt es sich, bei Gelegenheit wiederzukommen, die ausführlichen Tafeln zu studieren und den in Leonberg gequälten und ermordeten internationalen Opfern von Nazi-Terror und -Krieg eine stille Ehre zu erweisen.

„Wohin geht die Leona“: vhs-Vortrag war gut besucht

ERSTE ZUSAMMENSCHAU DER BEWEGTEN SCHUHFABRIKGESCHICHTE Der Vorsitzende des Vereins Kulturfabrik beleuchtete das Woher und Wohin des stadt- und sozialgeschichtlich einzigartigen Gebäudekomplexes   Leonberg wandelt sich rasant. Neue Gebäude wachsen empor, Altvertrautes verschwindet. Zu den wenigen Orten, die außerhalb der Altstadt die Zeit überdauert haben, zählt die Alte Schuhfabrik an der Eltinger Straße. Obwohl während der Langen Kunstnächte im Frühjahr regelmäßig Hunderte von Besuchern durch die auch als Künstlerhaus bekannt gewordenen Räumlichkeiten pilgern, sind die Wenigsten mit der außergewöhnlichen Geschichte dieses Ortes vertraut. Um das zu ändern, hat der freie Journalist, studierte Historiker und freischaffende Künstler Chris Heinemann viele bislang verstreut vorhandenen Informationen zusammengetragen und darüber hinaus noch lebende Zeitzeugen befragt. Die Ergebnisse seiner Nachforschungen präsentierte er erstmals am 17. Oktober 2023 in einem Lichtbildervortrag an der Volkshochschule Leonberg unter dem Titel „Wohin geht die Leona“. „Leona“ hieß nicht nur die in der Schuhfabrikfabrik hergestellte Schuhmarke, sondern war auch die im Volksmund gebräuchliche Bezeichnung für die Fabrik insgesamt. Neu für die Besucherinnen und Besucher war unter anderem der Versuch, nicht nur einen zeitlichen Ausschnitt zu betrachten, sondern anhand von vorhandenem Bildmaterial einen Überblick über die gesamte Geschichte des in seinen ältesten Teilen über 200 Jahre alten Gebäude-Ensembles zu wagen: vom Bau eines Wohnhauses im Jahr 1821, dem heutigen Vorderhaus an der Eltinger Straße, in dem 1896 streikende Schuharbeiter eine genossenschaftliche Schuhproduktion aufnahmen, über die Zeit der Süddeutschen Schuhfabrik bis zur Einstellung der Produktion 1977, gefolgt von frühen Kunst- und Kulturaktivitäten ab den 1980er Jahren, der Etablierung als „Künstlerhaus“ seit 2006 und schließlich den öffentlichen Kontroversen über Abriss und Sanierung, Gründung des Vereins Kulturfabrik und dessen Aktivitäten zur Schaffung eines Kulturzentrums bis heute.   Ausgehend von der Frage, was die Alte Schuhfabrik so einzigartig macht, dass sie erhalten werden sollte, zitierte der Referent eine Aussage der vormaligen Stadtarchivleiterin Bernadette Gramm: die Alte Schuhfabrik sei das letzte erhaltene Fabrikgebäude aus der Leonberger Industriegeschichte des 19. Jahrhunderts und zugleich letzte bauliche Zeugin der ursprünglich aus drei Fabriken bestehenden blühenden Leonberger Schuhherstellung. Hinzu kommt noch die sozialgeschichtliche Besonderheit, dass die Schuhfabrik ihre Existenz einem emanzipatorischen Akt der örtlichen Arbeiterbewegung von landes-, wenn nicht deutschlandweiter Seltenheit verdankt. Nicht zuletzt war es ein Glücksfall für die lokale und regionale Kunst- und Kulturszene, dass der letzte Fabrikbesitzer über 100 Jahre alt wurde und sich in nunmehr über 40 Jahren ein reger Kunst- und Kulturbetrieb in den Räumlichkeiten entwickeln konnte: vom Kunstverein „Glaskasten“ und dem Tonstudio „Roxanne“ über die Aktivitäten der internationalen Künstlerkooperative „Die Gruppe“ bis zur heutigen dritten Künstlergeneration und der Ansiedlung kunstnaher Dienstleistungen wie dem Fachgeschäft BILD+RAHMEN, der vhs-Kunstschule sowie der Galerie im Künstlerhaus. Zuletzt stellte der Vortrag die Frage, wie weit die Aktivitäten zur Erhaltung der Schuhfabrik als Standort für Kunst und Kultur an der Schnittstelle zwischen Altstadt und neuer Stadtmitte sowie inmitten neuer und gewachsener Wohn- und Geschäftsquartiere vorangekommen sind. Vor dem Hintergrund des in Diskussionen mit Gemeinderat und Verwaltung erzielten Doppelbeschlusses zu Teilerhalt und Neubau des Schuhfabrik-Ensembles sowie Suche nach einem Investor für die Sanierung beleuchtete der Referent die Interessen von Stadt, Verein Kulturfabrik und einem möglichen Investor, wog die Vereinsziele mit den realen Handlungsoptionen und bisherigen Aktivitäten ab und schloss mit einer Auflistung noch offener Fragen. An Letzteren entzündete sich dann noch eine lebhafte Gesprächsrunde mit den Vortragsbesuchern. Unter ihnen waren, wie vom Referenten erhofft, auch zwei betagte Zeitzeugen aus der Phase der Schuhfabrikation, deren engagierten Beiträge in die weiteren Nachforschungen einfließen werden.