„Das wäre für jede Stadt eine Bereicherung“

Interview: Der Maler und Objektkünstler Wolfgang Schäfer über seine Rolle bei der Gründung des Kunstvereins Glaskasten in der Schuhfabrik Anfang der 1980er Jahre „Das wäre für jede Stadt eine Bereicherung“   Herr Schäfer, in letzter Zeit scheint sich eine Krise an die andere zu reihen – Klimakrise, Pandemie, Krieg in der Ukraine, Verteuerung der Lebenshaltungskosten – macht Ihnen diese Häufung manchmal Angst? Wolfgang Schäfer: Nein. Das macht mir keine Angst. Im Vergleich dazu, was die ältere Generation durchgemacht hat, ist das gar nichts. Wir haben jetzt 70 Jahre in Frieden gelebt und sind sehr verwöhnt. Wer in den 1970er Jahren „Die Grenzen des Wachstums“ vom Club of Rome gelesen hat, weiß Bescheid. Der Mensch meint immer, alles beeinflussen zu können. Jetzt sieht man, dass das nicht so ist. Sie finden also an diesen Krisen nichts Besonderes? Nein. Wer wie ich aus der evangelischen Jugendbewegung kommt, war schon immer umweltbewusst. Der Ukraine-Krieg ist nicht erfreulich. Aber es war vorhersehbar, dass es so kommen wird. Es wird noch tiefere Veränderungen geben. Trotzdem habe ich keine apokalyptischen Vorstellungen. Themenwechsel: Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an Leonberg denken? Zuerst die Geburt meiner Töchter, die im Leonberger Kreiskrankenhaus zur Welt gekommen sind. Dann meine Zeit als Kunsterzieher am Johannes-Kepler-Gymnasium, aus der ich noch freundschaftliche Beziehungen zu einigen ehemaligen Kollegen habe. Und natürlich die Gründung des Vereins Glaskasten. Erinnern Sie sich noch, wie es dazu kam? Der spätere Gründer der Leonberger Jugendkunstschule Matthias Keller, der bei mir im Leistungskurs war, ging nach dem Abi an die Stuttgarter Kunstakademie. Dort lernte er andere Kunststudenten kennen, die in der Alten Schuhfabrik aktiv werden wollten. Aber vor dem Abschluss eines Mietvertrags verlangte der Eigentümer Sicherheiten, dass die Miete jeden Monat pünktlich überwiesen wird. Deshalb fragte mich Matthias Keller, ob ich als Hauptmieter auftreten könnte. Das haben Sie gemacht? Ja, ich war damals der einzige in unserem Kreis mit einem festen Monatseinkommen. Wir haben das ganze zweite Obergeschoss angemietet. Wir haben den Verein gegründet und im Winter 1980/1981 die Räume auf eigene Kosten hergerichtet. Ich hatte Handwerker an der Hand, die uns unterstützt haben, sodass wir nur das Material bezahlen mussten. Die Grundreinigung sowie das Abschleifen und Streichen haben wir selber gemacht. Und wer waren Ihre Untermieter? Insgesamt waren wir 15 Mieter, darunter Matthias Keller, der begabte Graphiker und Holzschnittkünstler Rolf Hausberg, der Graphiker Bernd Mack, die Malerin Charlotte Scheffel und der Bildhauer und Maler Johannes Kares. Wie haben Sie im zweiten OG Platz für 15 Leute geschaffen? Es hatte nicht jeder ein eigenes Atelier. Vielmehr haben wir die Etage in mehrere Räume unterteilt, die jeweils zwei gemeinsam genutzt haben. Das waren natürlich sehr kleine Kojen. Ich erinnere mich noch an meine: die hintere Treppe hoch, oben links. Da hatte ich vom Winter 1980/81 bis Herbst 1984 mein Atelier. Das hört sich nach harmonischem Zusammenleben mit den anderen Glaskasten-Mitgliedern an? Ein Zusammenleben in dem Sinn gab es nicht. Wir waren ja keine Gruppe mit gleichen künstlerischen Interessen. Neben Malern, Graphikern und Bildhauern gab es auch einen Fotografen, eine Puppenspielgruppe und die Popgruppe „Cocoon“, die bei uns geprobt hat. Was uns verbunden hat, war die Idee, das gemeinsam durchzuziehen. Was nicht immer ganz leicht war. Aber es gab doch gemeinsame Ausstellungen …? Ja, die erste gemeinsame Ausstellung fand vom 1. bis 29. März 1981 statt. Das war auch der Moment, wo ich das Gefühl hatte, dass wir etwas erreicht haben. Wir haben auch außerhalb Leonbergs ausgestellt, zum Beispiel in der Partnerstadt Belfort. Die meisten Ausstellungen habe ich als Glaskasten-Vorsitzender eröffnet. Und es gab auch größere Einzelausstellungen im Glaskasten, sogar von externen Künstlern, die nicht Mitglied im Glaskasten waren. Ließ sich der Vermieter und Fabrikbesitzer Erich Hägele bei Ihren Ausstellungen blicken? Ja, obwohl ihm die Kunst ein bisschen fremd war. Er war ein sehr freundlicher Mensch. Ich habe gute Erinnerungen an ihn. Als Hauptmieter war ich ja die Kontaktperson zu ihm und seiner Sekretärin. Wenn Sie an Ihre eigene künstlerische Entwicklung denken: Hat Sie die Zeit in der Schuhfabrik weitergebracht? Aus heutiger Sicht ist in den knapp vier Jahren, die ich mein Atelier in der Schuhfabrik hatte, die künstlerische Arbeit zu kurz gekommen. Einen Kunstverein wie den Glaskasten auf die Beine zu stellen und am Laufen zu halten, ist viel Arbeit. Wenn ich mal im Glaskasten war, musste ich auch auf unsere kleine Tochter aufpassen. Die hat dort auf dem Fußboden große Bilder gemalt. 1984 sind Sie dann aus dem Glaskasten ausgestiegen und für sieben Jahre zum Unterrichten an die Deutsche Schule in Madrid gegangen. Was hat Sie künstlerisch am meisten beschäftigt? Ich war zuerst sehr interessiert an Graphik, später mehr an der Malerei. Durch die Jahre begleiten mich die Illustration phantastischer Dinge, aber auch Landschaften. Ich war viel auf der Alb unterwegs und habe dort gemalt. Auch in Spanien habe ich Landschaften gemalt und in Madrid auch ausgestellt. An der dortigen Deutschen Schule war ich auch in der schulischen Theater-AG engagiert, habe das Bühnenbild, Plakate und Einladungskarten entworfen und selbst mitgespielt. Zurück zur Schuhfabrik: Was halten Sie als Ehemaliger davon, dass sich heute Bürgerinnen und Bürger aus Leonberg und darüber hinaus für ein kulturelles Begegnungszentrum in der Alten Schuhfabrik stark machen? Daran müsste eigentlich jede Stadt ein Interesse haben. Das wäre für jede Stadt eine Bereicherung. Ich fände es sehr schade, wenn dieser Kulturstandort nicht erhalten bliebe. Für Ihr Vorhaben wünsche ich Ihnen alles Gute! Die Fragen stellte Chris Heinemann   Zur Person Wolfgang Schäfer, Jahrgang 1949, ist gebürtiger Reutlinger. 1977 bis 1984 war er als Kunsterzieher am Johannes-Kepler-Gymnasium in Leonberg tätig, anschließend bis 1991 an der Deutschen Schule in Madrid. Seitdem lebt und arbeitet der Maler und Oberstudienrat a.D. in Reutlingen und Tübingen. Künstlerischer Werdegang Seit 1981 zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen. Bilder und Objekte von Wolfgang Schäfer finden sich in privaten Sammlungen, zum Beispiel auch in Leonberg.

„Kulturelle Angebotslücke schließen“

Nachgefragt: Kunst- und Kulturinteressierte über die Vereinsgründung „Kulturelle Angebotslücke schließen“ Allmählich macht in Stadt und Region die Nachricht vom neuen Kulturfabrik Leonberg e.V. i.Gr. die Runde. Wir haben schon mal einige kunst- und kulturinteressierte Menschen aus Leonberg nach ihrer Meinung zu unserer Vereinsgründung gefragt.   Jessica Emminghaus, Musikerin Ich denke, dass der Verein Kulturfabrik das kulturelle Leben in Leonberg in vielfältiger Weise bereichern kann, indem er Menschen mit unterschiedlichem Alter und unterschiedlichsten Hintergründen über die Kunst und die Kultur zusammenbringt. Die Kulturfabrik kann zukünftig ein Ort sein, an dem sich jeder einbringen und wohlfühlen kann.       Wieland Storek, ehemals stv. Vorsitzender Galerieverein Leonberg Man hört immer wieder die Meinung, man habe mit Galerieverein und Stadthalle bereits ausreichende Kulturstätten und brauche keine weiteren in Leonberg. Diese Argumente laufen ins Leere! Die Schuhfabrik, mit neuem und noch besser passendem Namen Kulturfabrik, soll vielmehr in Ergänzung zu Galerieverein und Stadthalle eine Begegnungsstätte für kultur- und kunstinteressierte Menschen sein, die einen Dialog mit Gleichgesinnten suchen, die Freude an Bildern, Skulpturen, aber auch an Literatur, an Jazz, an Kleinkunst haben.     Gudrun Sach, Grüne-Fraktion im Leonberger Gemeinderat Eine lebenswerte Stadt besteht nicht nur aus kühlen Wohnblocks, Straßen und Geschäften, sondern auch aus Räumen, wo man/frau sich treffen, Ideen entwickeln und kreativ werden kann. Das Areal aus Alter Schuhfabrik, Steinturnhalle und dem Platz dazwischen (dann mit weniger Autos und mehr Bäumen) ist ideal für solch eine Art von Quartiersarbeit in aller Vielfalt und für alle Altersgruppen, angefangen mit der Jugendkunstschule. Deshalb freue ich mich sehr, dass sich jetzt ein Verein „Kulturfabrik Leonberg“ gegründet hat – es lebe die Eigeninitiative!   Oliver Graf, Fotostudio Oliver Graf Kultur ist wichtig in einer Stadt, sie eint die Menschen. Und in diesem Zusammenhang sind der Verein zum Erhalt der Schuhfabrik und die Ideen, die dahinterstehen, eine tolle Sache.           Sonja Ontrup-Wendel, Malgruppe K-maeLeon Ich finde es gut, dass es jetzt einen Verein Kulturfabrik in Leonberg gibt. Damit wird endlich sichtbar, wie groß die Unterstützung bei den Bürgerinnen und Bürgern für ein solches Begegnungszentrum ist. Denn es gibt eine kulturelle Angebotslücke zwischen Stadthalle und Spitalhof, die die künftige Kulturfabrik schließen sollte: von Kleinkunst über Musik bis zu kleinen Ausstellungen.     Frithjof Gänger, Vorsitzender des Jazzclub Leonberg Die Gründung des Vereins Kulturfabrik Leonberg ist ein weiterer Baustein, die Rolle der Kultur im gesellschaftlichen Gefüge zu stärken. Joseph Beuys, den ich noch persönlich kennenlernen durfte, erkannte: „Die Kunst ist das Bild des Menschen selbst. Das heißt, indem der Mensch mit der Kunst konfrontiert ist, ist er im Grunde mit sich selbst konfrontiert.“  

„Eine Stadt ohne lebendige Kulturszene ist tot“

Interview: Der Maler Matthias Keller über die Gründung des Vorläufers der heutigen VHS-Kunstschule und seine Zeit in der alten Schuhfabrik „Eine Stadt ohne lebendige Kulturszene ist tot“   Herr Keller, wie geht es Ihnen als Künstler in diesen nicht enden wollenden Corona-Zeiten? Matthias Keller: Unterschiedlich. Die eigene Zeiteinteilung in der Isolation kommt mir entgegen. Ich sag immer, ich komm mir vor wie ein Mönch auf Zeit. Das war eigentlich schon immer ein Wunsch von mir: Ich wollte immer mal ins „Kloster auf Zeit“. Jetzt bin ich da auf andere Weise hingelangt. Die Zurückgezogenheit hat meine persönliche künstlerische Arbeit enorm vorangebracht. Ich bin ja Frühaufsteher und arbeite, bis ich müde bin. Aber Isolation auf Dauer ist natürlich auch nicht gut: keine Ausstellungen, keine Treffen mit Freunden … … und auch kein Kunstunterricht mehr? Sie haben doch in Leonberg seinerzeit die Jugendkunstschule gegründet, war die Kunstpädagogik nicht immer ihr Steckenpferd? Ja. Mit meinen Kunstschülern mache ich momentan Homeschooling. Das kann ich mir in meinem Fach gut einteilen. Was ich aber auch erlebe, sind geradezu sintflutartige Überfälle meiner Schüler auf mein E-Mail-Konto, wenn sie mir ihre Arbeiten schicken. Die muss ich alle bearbeiten, bewerten und anschließend mit ihnen besprechen. Auf digitalem Weg kostet das alles sehr viel Zeit. Wie war das eigentlich damals, als Sie in Leonberg mit dem Kunstunterricht angefangen haben? Das war nach unserem Auszug aus der alten Schuhfabrik 1987. Ich hatte da ja sechs Jahre lang zusammen mit anderen mein Atelier. Der damalige Leonberger Kulturamtsleiter Dr. Wulff hat mir danach vorgeschlagen, ein Konzept für eine Jugendkunstschule zu entwerfen. Da ich´s nicht so mit Konzepten habe, habe ich die Jugendkunstschule gleich selbst eröffnet. Wo und was haben Sie unterrichtet und wer war noch dabei? Mit den ersten Kursen haben wir im ersten Halbjahr 1988 angefangen. Dazu wurden uns zwei Unterrichtsräume mit kleinem Büro in der Schulbaracke im Hof des Albert-Schweitzer-Gymnasiums zugewiesen. Die Baracke war extra für die geburtenstarken Jahrgänge errichtet worden. Mir fielen die Leitungsaufgaben zu, aber ich habe auch selbst Malkurse gegeben. Die etwa zehn Kursleiter habe ich unter meinen damaligen Mitstudenten der Stuttgarter Kunstakademie und ausgebildeten Künstlern angeworben. Zum Beispiel hat Heide Biehlmeier, die Schwester des Leonberger Malers und Bildhauers Hans Daniel Sailer, damals einen Töpfer-Kurs gegeben. Wie haben Sie sich finanziert? Die Kunstkurse liefen über die Volkshochschule und meine Stelle wurde durch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bezahlt. Damit konnte man aber keine Familie ernähren. Warum haben Sie der Jugendkunstschule wieder den Rücken gekehrt? Das Problem war, dass ich immer vor Kursbeginn und zur Planung des neuen Semesters viel zu organisieren hatte. Sobald die Kurse liefen, hätte ich durch eine flexiblere Arbeitszeit konstruktiver arbeiten können, musste aber präsent sein und meine Zeit absitzen. Wenn man mir ein bisschen mehr Freiheit gegeben hätte, hätte ich diese „Leerlaufzeiten“ zum Beispiel für den Besuch anderer Kunstschulen, für das Treffen beziehungsweise Anwerben neuer Dozenten und teilweise für meine künstlerische Arbeit nutzen können. Aber meine Versuche, mit der Stadt und der VHS über gleitende Arbeitszeiten zu verhandeln, blieben ohne Ergebnis. Deshalb und aus finanziellen Gründen bin ich im September 1989 ausgestiegen. Meine Nachfolgerin hatte bei der Arbeitszeitregelung mehr Erfolg. Wenn Sie heute auf Ihre Gründung zurückblicken, würden Sie sagen, Sie haben dennoch etwas erreicht? Ja, denn es gibt die Jugendkunstschule heute immer noch, wenn auch unter verändertem Namen als VHS-Kunstschule. Wenn Sie auf einzelne Schüler anspielen: Spontan fällt mir eine ehemalige Kunstschülerin ein, die heute am Zentrum für Kunst und Medien, dem ZKM in Karlsruhe, arbeitet. Bei der haben meine Kurse sicher Spuren hinterlassen. (schmunzelt) Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie vor der Schulgründung zusammen mit anderen in der alten Schuhfabrik künstlerisch aktiv waren. War es Ihre Idee, dort Räume für Ateliers anzumieten? Nein, die Initiative ging von Bernd Mack und zwei, drei anderen Kunststudenten aus Stuttgart aus. Diese haben in Leonberg rumgefragt, wer noch ein Atelier braucht. 1981 haben wir dann auf eigene Kosten das zweite Obergeschoss der alten Schuhfabrik renoviert und dort Ateliers eingerichtet. Da ich in Leonberg aufs Kepler-Gymnasium gegangen bin, hat mich mein früherer Kunsterzieher Wolfgang Schäfer angesprochen, ob wir zusammen ein Atelier mieten wollen. Ich war damals 21 Jahre alt und hatte gerade angefangen, an der Kunstakademie in Stuttgart zu studieren. Weil ich weiter in Leonberg in der Keplerstraße wohnte, war es für mich praktisch, zum Malen nicht immer nach Stuttgart fahren zu müssen. Welche Erinnerungen haben Sie noch an diese Zeit? Nach den ersten Ausstellungen haben wir den „Glaskasten e.V.“ gegründet, damit wir Zuschüsse von der Stadt bekommen konnten. Der Name „Glaskasten“ steht ja immer noch auf dem Klingelschild am Hofeingang und über der Zugangstür vom hinteren Treppenhaus. Wieso haben Sie den Verein eigentlich Glaskasten genannt? Gibt es noch dieses verglaste Abteil in einem der Räume im zweiten OG? Ja, wo Sie es sagen … Sehen Sie, danach haben wir unseren Verein benannt. Wir haben diesen Glaskasten damals so belassen, wie wir ihn vorgefunden haben. Wer war außer Ihnen noch im Glaskasten-Verein aktiv? Da waren zum Beispiel der Bildhauer und Maler Johannes Kares, der Maler, Grafiker und Holzschnitt-Künstler Rolf Hausberg, der Goldschmied Konrad Hoog, die Malerin und Hutmacherin Charlotte Scheffel, der Siebdrucker Sebastian Klotz, der Kunstmaler Jochen Stahl, Erich Härtig und der schon erwähnte Wolfgang Schäfer. Aus künstlerischer Sicht betrachtet: Welche Bedeutung hatte für Sie Ihre aktive Zeit in der alten Schuhfabrik? Eine sehr, sehr große Bedeutung. In der alten Schuhfabrik ist der Grundstein für meine heutige künstlerische Tätigkeit gelegt worden. Ich war damals der Jüngste und konnte mir bei den Älteren Ratschläge holen. Vor allem bei Johannes Kares, den ich heute als meinen wichtigsten Lehrmeister betrachte. Handwerklich habe ich viel von Rolf Hausberg gelernt. Wir haben viel gearbeitet und tolle Feste gefeiert, die sich bis nach Stuttgart und Tübingen rumgesprochen haben. Wir hatten Theaterleute und Musiker zu Besuch. Pro Jahr haben wir bis zu neun Ausstellungen gemacht, auch mit auswärtigen Künstlern, die damals noch unbekannt waren und heute teilweise große Namen haben. War der Fabrikbesitzer auch mal unter den Gästen? Ja, an Erich Hägele erinnere ich mich als wär´s ein Film. Er war ein echter, aufrichtiger schwäbischer Fabrikant,

„Jegliche Inspiration von außen fehlt“

Nachgefragt: Kulturschaffende aus Leonberg und der Region über ihr Leben in der Coronakrise „Jegliche Inspiration von außen fehlt“ Wie im ganzen Land sind auch in Leonberg und der Region Kulturschaffende durch die Corona-Kontaktbeschränkungen der vergangenen zwölf Monate massiv in ihrer Berufsausübung beeinträchtigt. Viele leiden unter stornierten Aufträgen und fehlender Live-Rückkopplung. Wer nicht genügend auf der hohen Kante hat, sieht sich womöglich mit Existenznöten konfrontiert. Wir haben – quer durch die Kultursparten – mit Akteuren in Leonberg und der Region gesprochen, über ihren Alltag, ihre Sorgen, ihre Wünsche und ihre Pläne für die Nach-Corona-Zeit.   René Brixel, selbstständiger Videoproduzent und Bassist bei der Band „Karma Addon“, Leonberg Wie geht es Ihnen mit den Corona-Beschränkungen? Ich muss leider sagen: schlecht. Unsere Hauptkunden sind Unternehmen, die wegen der Pandemie vorsichtiger agieren. 100 Prozent unserer Aufträge für Veranstaltungsvideos sind weggebrochen.  Und auch meine Tätigkeit als Musiker ist fast vollständig zum Erliegen gekommen. Als vor einem Jahr der erste Lockdown kam, waren wir mitten in einer EP-Produktion, das stockt alles. Mein Bass setzt schon Staub an. Mir fehlt oft die Lust, zu spielen, weil jegliche Inspiration von außen fehlt. Was fehlt Ihnen momentan am meisten? Mir fehlen vor allem die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und das kreative Umfeld wie Konzert- und Kinobesuche, der Gang ins Fitnessstudio oder dass man sich mal nach Feierabend mit all seinen Freunden zum Grillen treffen kann. Was wünschen Sie sich in dieser Situation? Dass ich mich hoffentlich bald wieder ohne zahlenmäßige Kontaktbeschränkung mit Freunden treffen kann, das wär mir das Wichtigste. Und dann natürlich, dass der Kulturbereich, aus dem man seine eigenen kreativen Ideen schöpft, wieder in Gang kommt. Was planen Sie für die Nach-Corona-Zeit? Momentan nichts. Das letzte halbe Jahr hat ja gezeigt, dass nichts möglich war. Ich will nicht wieder enttäuscht werden.   Hans Daniel Sailer, Maler und Bildhauer, Höfingen Wie geht es Ihnen mit den Corona-Beschränkungen? Da ich als Bildhauer ein sehr kontemplatives Leben führe, betrifft mich Corona eigentlich nicht. Ich arbeite sogar mehr als vorher, weil es allgemein ruhiger ist. Natürlich besuchen mich weniger Leute, aber ich bin es als Bildhauer gewöhnt, lange Phasen ohne Außenkontakt zu arbeiten. Was fehlt Ihnen momentan am meisten? Ich verspüre vor allem einen Mangel an kulturinteressierten Menschen im Gemeinderat. Was wünschen Sie sich in dieser Situation? Nach meinen Erfahrungen würde ich mir wünschen, dass die Kulturmanager nicht behaupten, sie wüssten, wie Kunst geht. Was Kunst darf oder nicht, entscheide ich als Künstler. Dabei nehme ich gerne in Kauf, dass es nicht allen gefällt. Was planen Sie für die Nach-Corona-Zeit? Ich habe in den letzten Jahren in meinem Atelier einiges Neue geschaffen. Das werde ich irgendwann präsentieren. Wo, weiß ich noch nicht, damit lasse ich mir Zeit. Planen tue ich nicht. Wenn man gute Geister weckt, finden sie ihren Weg.   Werner Holler, Kultur-Impressario, Gebersheim Wie geht es Ihnen mit den Corona-Beschränkungen? Wir haben im März vor einem Jahr unsere Kuckucksbühne vorläufig zugemacht. Die Einbußen infolge der Absagen hielten sich in Grenzen. Dadurch, dass ich noch ein anderes Standbein habe, sind wir zum Glück nicht in Existenznöte geraten. Was fehlt Ihnen momentan am meisten? Es fehlt eine Perspektive. Überall warten Künstler auf Auftritte, aber mir fehlt die Planungssicherheit. Den Kleinkunstbereich wieder hochzufahren, braucht doch eine längere Vorlaufzeit. Und es braucht mutige Leute in den Locations vor Ort, die das dann auch durchziehen. Was wünschen Sie sich in dieser Situation? Ich wünsche mir mehr Mut auf den Amtsstuben, auch mal besondere Ideen zuzulassen, wenn ein gutes Schutzkonzept vorliegt. Denn Corona wird es auch noch in ein paar Jahren geben. Wir können aber nicht warten, bis irgendwann mal die Infektionsgefahr auf null gesunken ist. Es gibt ja wissenschaftliche Studien, wonach das Ansteckungsrisiko in Theatern und zum Beispiel in der Oper unter bestimmten Voraussetzungen sehr gering ist. Diese Erkenntnisse sollte man langsam mal umsetzen und angepasste Kulturformate entwickeln. Was planen Sie für die Nach-Corona-Zeit? Wie gesagt, es wird vorerst keine Nach-Corona-Zeit geben. Diese Viren werden nach wie vor da sein, wir müssen das Kulturleben daran anpassen. Vermutlich wird sich das Kulturleben mehr in den Sommer verlagern. Ich plane jedenfalls vorerst nur für die warme Jahreszeit. Vielleicht haben wir künftig auch Verträge mit Corona-Ausstiegsklauseln. Und wenn wir jeweils nur halb so viele Besucher zulassen können, werden wir wohl auch die Eintrittspreise etwas anheben müssen.   Christine Rummel, Textilkünstlerin, Fundus, Leonberg Wie geht es Ihnen mit den Corona-Beschränkungen? Ich bin sehr dankbar, dass ich mir momentan finanziell keine Sorgen machen muss. Was nicht heißt, dass ich auf großem Fuß leben kann. Erstaunlich ist, dass sich für mich ausgerechnet im zurückliegenden Corona-Jahr so viele neue Ausstellungs- und Entwicklungsoptionen ergeben haben wie nie zuvor. Zum Beispiel wurde ich bei einer Textil-Biennale in Santiago de Chile, die erstmals online veranstaltet wurde, mit dem zweiten Platz ausgezeichnet, eine wundervolle Überraschung. Für mich war es ein beindruckendes Jahr. Was fehlt Ihnen momentan am meisten? Auch wenn ich digitale Alternativen für Ausstellungsbesuche, Studiengruppentreffen, Fortbildungen und private Zusammenkünfte nutze und sie als Bereicherung empfinde, ersetzen sie dennoch nicht das unmittelbare Erleben und den physischen Kontakt zu meinen Künstlerkolleginnen, Familie und Freunden. Das fehlt mir hin und wieder. Was wünschen Sie sich in dieser Situation? Jeder neue Tag  bedeutet für mich geschenkte Zeit, schon aus diesem Grund ist annähernd jeder Tag ein wertvoller und guter.  Über die persönlich-menschlichen und  künstlerischen  Erkenntnisse und Reflexionen hinaus wünschte ich mir, den mit allen Sinnen erlebenden konstruktiven Austausch unter Gleichgesinnten.     Was planen Sie für die Nach-Corona-Zeit? Das vergangene Jahr hat mich in vielerlei Hinsicht gelehrt, dass sich viele Dinge anders entwickeln, als sie im Voraus geplant waren.  Ich werde diese Zeit auf mich zukommen lassen, meiner Intuition folgen und mich weiterhin meinen Themen auf textilkünstlerische Weise annähern.   Guido Rettenmaier, Inhaber Galerie 116, Leonberg Wie geht es Ihnen mit den Corona-Beschränkungen? Schlecht. Wir dürfen nicht aufmachen und alle geplanten Messen wurden abgesagt. Das bedeutet: Wir haben natürlich Kosten, aber keine Umsätze. Zum Glück habe ich früher etwas gespart. Aber irgendwann ist die Grenze natürlich erreicht. Was fehlt Ihnen momentan am meisten? Die Vernissagen, die Künstler und die Kunden.

„Kulturelle Basisarbeit ist schützenswert“

KKL-Interview: Der Leonberger Maler und Bildhauer Hans Mendler über seine Verbindungen zur ersten Künstlergeneration in der alten Schuhfabrik „Kulturelle Basisarbeit ist schützenswert“   Herr Mendler, erlauben Sie in der gegenwärtig vor allem für viele Künstler angespannten Situation eine Frage vorneweg: Wie kommen Sie in der Coronakrise zurecht? Hans Mendler: Ich beziehe zum Glück eine Rente aus 34 Jahren Kunsterzieher am Leonberger Keplergymnasium. Außerdem laufen bei mir die Geschäfte ganz ordentlich weiter. Natürlich war es enttäuschend, dass laufend Veranstaltungen abgesagt werden mussten, Ausstellungen im Mai, Oktober und November. Auch mein traditionelles Atelierfest am ersten Adventswochenende. Das war traurig. Aber man findet sich damit ab. Jetzt haben wir die Hoffnung, dass wir im Juni dieses Jahres vielleicht unser Atelierfest nachholen  können. Also war 2020 trotz Corona für Sie kein verlorenes Jahr …? Nein. Ich konnte wenigstens eine sehr schöne Ausstellung mit dem Weil der Städter Kunstforum für ein befreundetes Künstlerpaar aus dem ungarischen Pécs organisieren. Die fand Mitte September, quasi in letzter Minute, in der Wendelinskapelle statt und war sehr erfolgreich. Andererseits fiel meine eigene Skulpturenausstellung im Mai in der Gärtnerei Kriesten aus. Da wollten wir zum einen 50 Jahre Kriesten und zum anderen mit vielen Gästen meinen 70. Geburtstag feiern. Aber auch das wollen wir nachholen. In anderer Form natürlich, aber das ist ja nicht existenzbedrohend. Welche Erinnerungen haben Sie an die ehemalige Schuhfabrik in der Eltinger Straße? Sie kannten ja einige der dort im  sogenannten „Glaskasten“ tätigen Künstler der ersten Stunde.  Ja, das waren teilweise Schüler von mir. Matthias Keller zum Beispiel hat am Keplergymnasium Abitur gemacht. Es gab auch Kunsterzieherkollegen, die öfters dort waren. Sie waren ja Gründungsmitglied der 1983 in Leonberg gegründeten Künstlerkooperative DIE GRUPPE, deren Mitinitiator, der rumänischstämmige Maler András Márkos, längere Zeit in der Schuhfabrik künstlerisch aktiv war. Gehörten Sie auch zu den Malern, die dort ihr Atelier hatten? Nein, ich hatte mein Atelier seit 1979 in der anderen damals noch existierenden alten Schuhfabrik in der Bahnhofstraße. Da war damals auch eine Szenekneipe drin. Vom damaligen Fabrikeigentümer, dem „Onkel Gide“, hatte ich die ehemalige Fabrikkantine im hangseitigen Bereich gemietet. Zweieinhalb Jahre habe ich dort gearbeitet und gelebt. Dann hat sich abgezeichnet, dass alles abgerissen wird. Ich bin dann mit meinem Atelier in die Gebersheimer Straße umgezogen. Wenn Sie nicht selbst in der Schuhfabrik an der Eltinger Straße aktiv waren, wie kam dann der Kontakt zu den dortigen Künstlern zustande? Über die Galerie LeonArt, die Anfang der 1980er Jahre sozusagen die Nachfolge der Leonberger „Galerie 6“ angetreten hatte. Die war in den 1970er Jahren deutschlandweit und sogar international anerkannt. Die Galerie LeonArt lag ja nur wenige Schritte von meinem Atelier in der Bahnhofstraße entfernt in dem Haus am Hang gegenüber vom früheren Blumenladen. Und der Galerist Paul Prexler hat mich, wenn Sie so wollen, entdeckt. 1981 hatte ich in seinem zur Galerie umgestalteten Gewölbekeller meine erste Einzelausstellung. Dann später zusammen mit meinen Künstlerfreunden Wolfgang Thiel und Peter Degendorfer. Unabhängig davon stellte auch András Márkos bei LeonArt aus. Eines Tages fragte er mich, ob ich bei einer Künstlergruppe mitmachen würde, und ich habe Ja gesagt. So habe ich auch die anderen, Frederick Bunsen aus El Paso, Norbert Fleischmann aus Wien, Adrian Buba aus Paris und Gert Fabritius, der damals in Stuttgart lebte, kennengelernt. Wie war Ihr Verhältnis zu Markós und den anderen GRUPPE-Künstlern? Zunächst gilt es festzuhalten, dass wir künstlerisch nie auf einer Linie lagen, jeder hat weiter sein eigenes Ding gemacht. Die GRUPPE war eine reine Zweckgemeinschaft. Wir hatten die klare Idee, dass wir uns gegenseitig beim Marketing unterstützen und zusammen reich werden wollten. (lacht) Ich fand die Idee gut und ehrlich. Man kann ja auch mal zugeben, dass man seine Kunst verkaufen will. Wir haben also Teilhaber und Sponsoren gesucht und auch gefunden. So haben wir zum Beispiel eine Mappe mit Radierungen gedruckt, diese an Freunde von mir verkauft und damit 1984 eine Ausstellung in Paris finanziert. Ich war ja der Schwabe in der Gruppe und daher fürs Geld zuständig. (schmunzelt) Heißt das, dass Ihre Mitgliedschaft in der GRUPPE keinerlei Einfluss auf Ihr eigenes künstlerisches Schaffen hatte? So würde ich es nicht ausdrücken. Wenn man mit einem Energiebündel wie Márkos zusammentrifft, erlebt man schon einiges. Das muss man verarbeiten. Er hatte einen oft sehr unkonventionellen Blick auf die deutsche Gesellschaft. Dann Bunsen mit seiner Vorliebe für Philosophie und Fabritius, der ein sehr klassisch arbeitender und geschichtsbewusster Mann ist.  Márkos war damals wild entschlossen, ein weltbewegender Künstler zu werden. Was das Künstlerische angeht: Wenn man Márkos gesehen hat, mit welcher Freiheit und Urkraft er gearbeitet hat, das war schon beeindruckend. Ich habe mich damals im anregenden Spannungsfeld zwischen der rein gestischen Malerei eines András Márkos, der gestisch-abstrakten Herangehensweise Bunsens und dem figürlichen Ausdruck eines Gert Fabritius bewegt. Dazu kam eine tiefer gehende Freundschaft mit dem Wiener Norbert Fleischmann und dessen sehr ernsthafter, stark reduzierter Kunst. Das hat mich schon beeinflusst. Erinnern Sie sich an Themen, die Sie damals beschäftigt haben? Eine spurenhafte Malerei, in der Teile von menschlichen Figuren, Restfiguren, Kultgegenständen oder Fundstücken auftauchen, das war meine Welt damals. Aber mir wurde dann auch relativ schnell klar, dass das anfangs aufbauende Verhältnis zu Márkos ins Destruktive abzurutschen begann. Was meinen Sie damit? Ich meine die Vorstellung, dass man mit Beziehungen alles erreichen kann, um berühmt zu werden. Das war nicht mein Weg. Márkos wurde geradezu aufgefressen von der Idee, dass man sich den Status eines Gerhard Richter oder Anselm Kiefer hinorganisieren und quasi erzwingen kann. Dabei wird man schizophren und am Ende glaubt man seine eigenen Phantastereien. Deshalb war ich letztlich froh, als es 1996 zu Ende war. Was bleibt aus Ihrer Sicht von den Aktivitäten der GRUPPE in der alten Schuhfabrik? Márkos hatte die Räumlichkeiten im „Glaskasten“ genutzt, um eine riesige Tiefdruckmaschine aufstellen zu lassen, und er hatte sogar einen hauptberuflichen Drucker angestellt. Da wurden mehrfarbige Editionen gedruckt, das war schon eine schöne Sache. Zum Beispiel ein Buch mit original Lithographien zu Texten des ungarischen Literaten Kanyadi  „Vae Victis“ (lateinisch „Wehe den Besiegten“). 1993 auch eine Mappe von DIE GRUPPE mit großformatigen, mehrfarbigen Radierungen mit

Respektvoller Umgang auf Augenhöhe

Respektvoller Umgang auf Augenhöhe KKL-Interview: Der neue Leiter des Leonberger Amts für Kultur und Sport, Jonas Pirzer, über Kultur und die lokale Kulturszene   Mit dem Amtsantritt von Jonas Pirzer an der Spitze des Amts für Kultur und Sport am 1. April 2020 ging eine monatelange Vakanz zu Ende. Was für ein Mensch ist der neue Amtsleiter, was bewegt ihn und in welche Richtung könnte sich die Leonberger Kulturszene unter seiner Obhut entwickeln? Ein KKL-Gespräch mit dem 34-jährigen Kulturmanager und Musiker gibt erste Aufschlüsse. Herr Pirzer, Sie sind gebürtiger Münchner, obwohl man das nicht hört. Wie kommen Sie mit der schwäbischen Mundart zurecht? Jonas Pirzer: Ganz gut. Ich mag Dialekt. Vielleicht weil ich selbst keinen habe. Mein Vater kommt zwar aus einer Münchner Familie, aber meine Mutter aus Nordrhein-Westfalen, insofern hat man sich zuhause auf Hochdeutsch geeinigt. Dabei ist mein Schwäbisch, glaube ich, für einen Nichtschwaben vergleichsweise gut. Als Süddeutscher habe ich keine großen Probleme, die hiesigen Dialektvarianten zu verstehen. Obwohl, wenn ich daran denke, wie ich vor dem Studium mal auf der Schwäbischen Alb gejobbt habe – da hat mich die Mundart doch ein wenig herausgefordert. (schmunzelt) Was gefällt Ihnen an Leonberg und seinen Bewohnern? Da muss ich fairer Weise sagen, dass ich noch lange nicht genug von Leonberg und seinen Bewohnern kennengelernt habe. Aber ich bin natürlich zuversichtlich, dass sich das in den nächsten Jahren ändert. Was mir gefällt, ist die Ortsverbundenheit. Mir ist relativ schnell klar geworden, dass Leonberg auch aus seinen eingemeindeten Ortschaften besteht. Dass die Menschen sich weiterhin mit ihrer Ortschaft identifizieren, bringt eine gewisse Kontinuität mit sich, die ich sehr sympathisch finde. Als Amtsleiter sind Sie sowohl für Kultur als auch für Sport zuständig? Sind das zwei separate Bereiche oder sehen Sie zwischen beiden auch Schnittmengen? Aus meiner Sicht ist beides richtig. Es gibt natürlich Schnittmengen. Deshalb ist es auch gut, dass beide Bereiche verwaltungstechnisch verbunden sind. Sowohl Sport als auch Kultur spielen im Leben der Menschen eine wichtige Rolle, weil sie Identität stiften. Das haben beide gemeinsam. Trotzdem gibt es natürlich nicht immer nur überlappende Bereiche, sondern auch unterschiedliche Interessen und Akteure, die auch das Recht haben, unterschiedlich wahrgenommen und betreut zu werden. Mittlerweile haben Sie Vertreter beider Bereiche kennengelernt. Welche großen Anliegen und Wünsche aus dem Kulturbereich wurden bislang an Sie herangetragen? Momentan geht es natürlich viel um Unterstützung in der gegenwärtigen Corona-Zeit. Aber, wie Sie wissen, auch um die Frage: Wie geht es weiter mit der alten Schuhfabrik? Ein grundsätzliches Anliegen vieler Kulturschaffender ist es, die Vernetzung untereinander zu stärken. Auch geht es um die städtischen Möglichkeiten zur Unterstützung von Vereinen, die in Leonberg maßgebliche Kulturakteure sind – zum Beispiel durch die Überarbeitung der städtischen Vereinsförderrichtlinien. Um nur ein paar Anliegen zu nennen. Apropos Corona-Krise: Welche konkreten Möglichkeiten sehen Sie, unverschuldet in Existenznöte geratene Kulturschaffende seitens der Stadt zu unterstützen? Zunächst einmal weise ich darauf hin, dass es ja schon diverse Hilfsprogramme von Land und Bund gibt. Die Rolle der Stadt wäre dabei, zu beraten und zu informieren, an wen sich die betroffenen Kulturschaffenden wenden können. Das heißt natürlich nicht, dass wir nur passiv beraten. Darüber hinaus gehen wir mit dem Thema „ausgefallene Honorare“ sozialverträglich um und bemühen uns auch um das Nachholen von abgesagten Veranstaltungen, falls damit Einnahmeausfälle für Künstler verbunden waren. Bei Ihrer vorangegangenen Tätigkeit im Kulturamt der Stadt Esslingen haben Sie sich mit der Entwicklung einer Strategie befasst, die den Bürgerinnen und Bürgern eine bessere Teilhabe an der städtischen Kulturlandschaft ermöglicht. Inwiefern könnten von Ihren Erkenntnissen auch die Leonberger profitieren? Sicherlich ist es so, dass die Erfahrungen im Bereich der kulturellen Teilhabe in der einen Stadt in gewisser Weise auch auf andere Städte übertragbar sind. Dann geht es vor allem darum, Menschen für kulturelle Teilhabe zu begeistern. Eine wichtige – allerdings nicht neue – Erkenntnis ist, dass Kunst- und Kulturangebote in der Regel hauptsächlich von ganz bestimmten gesellschaftlichen Gruppen in Anspruch genommen werden. Ziel muss es sein, für eine höhere Durchlässigkeit zu sorgen. Wenn Sie so wollen eine stärkere Demokratisierung von Kunst. In Esslingen gibt es ein großes Kooperationsinteresse zwischen stadtgesellschaftlichen Akteuren und Einrichtungen aus dem Sozial- und Kulturbereich sowie dem Bildungsbereich. Zwar bin ich nun noch neu in Leonberg, habe jedoch schon viele Signale vernommen, dass es in Leonberg ähnlich ist. Welche Funktion und Bedeutung hat aus Ihrer Sicht die Kultur in einem Mittelzentrum wie Leonberg? Sicher nicht nur eine, sondern sehr vielfältige Funktionen: Die Kultur ist zum Beispiel ein Impulsgeber für die Freizeitgestaltung und für das individuelle Seelenleben abseits der täglichen Arbeit. Es geht um Tradition und Identitätsstiftung. Aber auch ein bisschen um Reibung und kreative Störung, was meiner Meinung nach einer Stadtgesellschaft von Zeit zu Zeit gut tut. Die Auseinandersetzung auch mit unbequemen Themen ist wichtig. Welche Rolle spielt in Ihren Überlegungen zur Zukunft der Kultur in Leonberg die freie Kulturszene, seien es freischaffende Künstler, Musiker oder andere Selbstständige im Kulturbereich? Da ich selbst aus der freien Kulturszene komme, liegen mir diese Akteure sehr am Herzen. Ich denke darüber nach, was getan werden kann, um die Freischaffenden zu stärken und ihnen einen Raum zu schaffen, in dem sie produktiv arbeiten können. Ich halte sie für wesentliche Impulsgeber, weil es in einem Mittelzentrum wie Leonberg nun mal keine Institutionen wie ein Stadttheater oder eine Kunstakademie gibt. Hier kommen die Impulse im Wesentlichen von den freien Kulturschaffenden. Ob freischaffend oder angestellt: Worauf legen Sie beim Umgang mit den Kulturschaffenden Wert? Mir ist ein respektvoller Umgang auf Augenhöhe wichtig. Die Augenhöhe ergibt sich vor allem daraus, dass gemeinsam versucht wird, Ziele auszuloten und diese dann auch partnerschaftlich umzusetzen. Ebenso ist es wichtig, dass wir als Stadt auch mal Zuschüsse zur Verfügung stellen, mit denen die kulturellen Akteure vergleichsweise frei agieren können. Fällt Ihnen dafür ein Beispiel ein? Nehmen wir an, Sie und Ihr Kulturverein möchten eine neue, interdisziplinäre Veranstaltungsreihe mit Tanz, Musik und Literatur ins Leben rufen. Dann entwickeln Sie ein Konzept und beantragen bei uns eine Förderung. Wir können Sie sowohl finanziell als auch inhaltlich unterstützen. Sie sind nicht nur studierter Kulturmanager, sondern haben auch ein

Die Kunst spricht förmlich durch die Wände

Die Kunst spricht förmlich durch die Wände KKL-Interview: Kunstprofessor Frederick D. Bunsen über die erste Künstlergeneration in der Alten Schuhfabrik   Herr Professor Bunsen, lieber Frederick, welche Bedeutung hatte aus Ihrer Sicht die 1979 stillgelegte Süddeutsche Schuhfabrik für die Künstlerszene in Leonberg in den 1980er Jahren? Frederick Bunsen: Darüber möchte ich mir kein abschließendes Urteil erlauben. Was man aber sicher sagen kann, ist, dass es in der Schuhfabrik bereits den legendären „Glaskasten“ gab. Das war ein 1981 von Bernd Mack und anderen gegründeter Kunstverein mit angeschlossenen Künstlerateliers. Da waren zu dieser Zeit und auch später noch Werke von Künstlern zu sehen, die man sonst nirgends zu sehen bekam. Insofern hatte die frühere Schuhfabrik eine wichtige Funktion bei der Verbreitung junger, noch nicht etablierter, avantgardistischer zeitgenössischer Kunst. Ich denke zum Beispiel an eine Ausstellung des rumänisch-stämmigen Bildhauers und „Glaskasten“-Mitbegründers Johannes Kares im Jahr 1981. Kares hat später bekanntlich die 2005 errichtete monumentale „Namenswand“ aus Stahl vor der KZ-Gedenkstätte am alten Engelbergtunnel geschaffen.