„Wohin geht die Leona“: vhs-Vortrag war gut besucht

ERSTE ZUSAMMENSCHAU DER BEWEGTEN SCHUHFABRIKGESCHICHTE Der Vorsitzende des Vereins Kulturfabrik beleuchtete das Woher und Wohin des stadt- und sozialgeschichtlich einzigartigen Gebäudekomplexes   Leonberg wandelt sich rasant. Neue Gebäude wachsen empor, Altvertrautes verschwindet. Zu den wenigen Orten, die außerhalb der Altstadt die Zeit überdauert haben, zählt die Alte Schuhfabrik an der Eltinger Straße. Obwohl während der Langen Kunstnächte im Frühjahr regelmäßig Hunderte von Besuchern durch die auch als Künstlerhaus bekannt gewordenen Räumlichkeiten pilgern, sind die Wenigsten mit der außergewöhnlichen Geschichte dieses Ortes vertraut. Um das zu ändern, hat der freie Journalist, studierte Historiker und freischaffende Künstler Chris Heinemann viele bislang verstreut vorhandenen Informationen zusammengetragen und darüber hinaus noch lebende Zeitzeugen befragt. Die Ergebnisse seiner Nachforschungen präsentierte er erstmals am 17. Oktober 2023 in einem Lichtbildervortrag an der Volkshochschule Leonberg unter dem Titel „Wohin geht die Leona“. „Leona“ hieß nicht nur die in der Schuhfabrikfabrik hergestellte Schuhmarke, sondern war auch die im Volksmund gebräuchliche Bezeichnung für die Fabrik insgesamt. Neu für die Besucherinnen und Besucher war unter anderem der Versuch, nicht nur einen zeitlichen Ausschnitt zu betrachten, sondern anhand von vorhandenem Bildmaterial einen Überblick über die gesamte Geschichte des in seinen ältesten Teilen über 200 Jahre alten Gebäude-Ensembles zu wagen: vom Bau eines Wohnhauses im Jahr 1821, dem heutigen Vorderhaus an der Eltinger Straße, in dem 1896 streikende Schuharbeiter eine genossenschaftliche Schuhproduktion aufnahmen, über die Zeit der Süddeutschen Schuhfabrik bis zur Einstellung der Produktion 1977, gefolgt von frühen Kunst- und Kulturaktivitäten ab den 1980er Jahren, der Etablierung als „Künstlerhaus“ seit 2006 und schließlich den öffentlichen Kontroversen über Abriss und Sanierung, Gründung des Vereins Kulturfabrik und dessen Aktivitäten zur Schaffung eines Kulturzentrums bis heute.   Ausgehend von der Frage, was die Alte Schuhfabrik so einzigartig macht, dass sie erhalten werden sollte, zitierte der Referent eine Aussage der vormaligen Stadtarchivleiterin Bernadette Gramm: die Alte Schuhfabrik sei das letzte erhaltene Fabrikgebäude aus der Leonberger Industriegeschichte des 19. Jahrhunderts und zugleich letzte bauliche Zeugin der ursprünglich aus drei Fabriken bestehenden blühenden Leonberger Schuhherstellung. Hinzu kommt noch die sozialgeschichtliche Besonderheit, dass die Schuhfabrik ihre Existenz einem emanzipatorischen Akt der örtlichen Arbeiterbewegung von landes-, wenn nicht deutschlandweiter Seltenheit verdankt. Nicht zuletzt war es ein Glücksfall für die lokale und regionale Kunst- und Kulturszene, dass der letzte Fabrikbesitzer über 100 Jahre alt wurde und sich in nunmehr über 40 Jahren ein reger Kunst- und Kulturbetrieb in den Räumlichkeiten entwickeln konnte: vom Kunstverein „Glaskasten“ und dem Tonstudio „Roxanne“ über die Aktivitäten der internationalen Künstlerkooperative „Die Gruppe“ bis zur heutigen dritten Künstlergeneration und der Ansiedlung kunstnaher Dienstleistungen wie dem Fachgeschäft BILD+RAHMEN, der vhs-Kunstschule sowie der Galerie im Künstlerhaus. Zuletzt stellte der Vortrag die Frage, wie weit die Aktivitäten zur Erhaltung der Schuhfabrik als Standort für Kunst und Kultur an der Schnittstelle zwischen Altstadt und neuer Stadtmitte sowie inmitten neuer und gewachsener Wohn- und Geschäftsquartiere vorangekommen sind. Vor dem Hintergrund des in Diskussionen mit Gemeinderat und Verwaltung erzielten Doppelbeschlusses zu Teilerhalt und Neubau des Schuhfabrik-Ensembles sowie Suche nach einem Investor für die Sanierung beleuchtete der Referent die Interessen von Stadt, Verein Kulturfabrik und einem möglichen Investor, wog die Vereinsziele mit den realen Handlungsoptionen und bisherigen Aktivitäten ab und schloss mit einer Auflistung noch offener Fragen. An Letzteren entzündete sich dann noch eine lebhafte Gesprächsrunde mit den Vortragsbesuchern. Unter ihnen waren, wie vom Referenten erhofft, auch zwei betagte Zeitzeugen aus der Phase der Schuhfabrikation, deren engagierten Beiträge in die weiteren Nachforschungen einfließen werden.

Vorausgeschaut: „Zukunfts(Rast)stätte“ machte Kulturareal erlebbar

Vorausgeschaut: „Zukunfts(Rast)stätte“ machte Kulturareal erlebbar Tankstelle und Bühne für die lokale Kultur Drei Wochen im Herbst, von Ende September bis Mitte Oktober 2022, glich der Platz zwischen Alter Schuhfabrik und Steinturnhalle einer Art kulturellem Experimentierlabor. Zuerst wurde gezimmert, genagelt und gebaut. Ein agiles Team der Kölner Installationskünstlerwerkstatt Studio Quack zauberte in Rekordtempo einen multifunktionalen Kiosk im Stil einer Autobahnraststätte auf das – vorübergehend autofreie – Areal. Eine Tankstelle und Bühne für die Kultur. Bestückt mit Durstlöschern und bespielt von Künstlern, Schauspielern, Musikern, Naturschützern, Freizeitsportlern, Nachbarn, Familien, Kindern und Jugendlichen. Am 30. September war Eröffnung der „Zukunfts(Rast)stätte“. Engagierte Einzelpersonen, Organisationen und Vereine, darunter unser Kulturfabrik e.V., luden zwei Wochen lang zu Veranstaltungen und Mitmachaktionen ein: Es wurde nach Herzenslust gebastelt, getanzt, gespielt, diskutiert, gemalt, gekocht und noch vieles mehr. Kurzum: Akteure wie Besucher haben die Zeit genutzt und ausgiebig Kultur getankt. Im Folgenden stellen wir die mit unserer Beteiligung entstandenen Aktivitäten näher vor. Auf die zahlreichen wunderbaren Beiträge anderer Gruppen wird auf der Homepage der Stadt Leonberg eingegangen. Wie war das alles möglich? Den gemeinsamen Rahmen bildete das von der KulturRegion Stuttgart ausgeschriebene Festival ÜBER:MORGEN. Über 20 Kommunen im Großraum Stuttgart waren daran beteiligt – jede mit einem anderen Projekt. In Leonberg entschied man sich für eine Pop-up-Installation in Form einer „Zukunfts(Rast)stätte“. Die Idee in Anlehnung an die Leonberger Verkehrsproblematik und die Autobahnnähe habe man gemeinsam mit den von der KulturRegion vorgeschlagenen Installationskünstlern entwickelt, berichtet der Leiter des Amts für Kultur und Sport, Jonas Pirzer. Das Ziel: „Sichtbarmachen von tollen Dingen, die hier passieren, neue Formate entwickeln, Menschen zusammenbringen, bescheidene innenstädtische Utopien ermöglichen, Potenziale erforschen, kulturelle Zukunft gemeinsam gestalten …“ Und warum gerade auf diesem Platz? „Weil sowohl Schuhfabrik als auch Steinturnhalle interessante Gebäude sind, und der Parkplatz dazwischen mehr sein kann als nur ein Parkplatz“, so Pirzer. Außerdem liege der Ort zentral und sei leicht zu erreichen. Eine Erkenntnis, die der Verein Kulturfabrik nur unterstreichen kann. Schon seit zwei Jahren werben wir für ein von Vereinen, Initiativen und Stadt gemeinsam bespieltes „Kulturareal Steinstraße“. Mit dem Festival ist diese Vision nun für drei Wochen gelebte Realität geworden. Und das Beste: Jede/r konnte mitmachen. Alles in allem ein Kulturevent, das eine Fortsetzung verdient.                      

Respektvoller Umgang auf Augenhöhe

Respektvoller Umgang auf Augenhöhe KKL-Interview: Der neue Leiter des Leonberger Amts für Kultur und Sport, Jonas Pirzer, über Kultur und die lokale Kulturszene   Mit dem Amtsantritt von Jonas Pirzer an der Spitze des Amts für Kultur und Sport am 1. April 2020 ging eine monatelange Vakanz zu Ende. Was für ein Mensch ist der neue Amtsleiter, was bewegt ihn und in welche Richtung könnte sich die Leonberger Kulturszene unter seiner Obhut entwickeln? Ein KKL-Gespräch mit dem 34-jährigen Kulturmanager und Musiker gibt erste Aufschlüsse. Herr Pirzer, Sie sind gebürtiger Münchner, obwohl man das nicht hört. Wie kommen Sie mit der schwäbischen Mundart zurecht? Jonas Pirzer: Ganz gut. Ich mag Dialekt. Vielleicht weil ich selbst keinen habe. Mein Vater kommt zwar aus einer Münchner Familie, aber meine Mutter aus Nordrhein-Westfalen, insofern hat man sich zuhause auf Hochdeutsch geeinigt. Dabei ist mein Schwäbisch, glaube ich, für einen Nichtschwaben vergleichsweise gut. Als Süddeutscher habe ich keine großen Probleme, die hiesigen Dialektvarianten zu verstehen. Obwohl, wenn ich daran denke, wie ich vor dem Studium mal auf der Schwäbischen Alb gejobbt habe – da hat mich die Mundart doch ein wenig herausgefordert. (schmunzelt) Was gefällt Ihnen an Leonberg und seinen Bewohnern? Da muss ich fairer Weise sagen, dass ich noch lange nicht genug von Leonberg und seinen Bewohnern kennengelernt habe. Aber ich bin natürlich zuversichtlich, dass sich das in den nächsten Jahren ändert. Was mir gefällt, ist die Ortsverbundenheit. Mir ist relativ schnell klar geworden, dass Leonberg auch aus seinen eingemeindeten Ortschaften besteht. Dass die Menschen sich weiterhin mit ihrer Ortschaft identifizieren, bringt eine gewisse Kontinuität mit sich, die ich sehr sympathisch finde. Als Amtsleiter sind Sie sowohl für Kultur als auch für Sport zuständig? Sind das zwei separate Bereiche oder sehen Sie zwischen beiden auch Schnittmengen? Aus meiner Sicht ist beides richtig. Es gibt natürlich Schnittmengen. Deshalb ist es auch gut, dass beide Bereiche verwaltungstechnisch verbunden sind. Sowohl Sport als auch Kultur spielen im Leben der Menschen eine wichtige Rolle, weil sie Identität stiften. Das haben beide gemeinsam. Trotzdem gibt es natürlich nicht immer nur überlappende Bereiche, sondern auch unterschiedliche Interessen und Akteure, die auch das Recht haben, unterschiedlich wahrgenommen und betreut zu werden. Mittlerweile haben Sie Vertreter beider Bereiche kennengelernt. Welche großen Anliegen und Wünsche aus dem Kulturbereich wurden bislang an Sie herangetragen? Momentan geht es natürlich viel um Unterstützung in der gegenwärtigen Corona-Zeit. Aber, wie Sie wissen, auch um die Frage: Wie geht es weiter mit der alten Schuhfabrik? Ein grundsätzliches Anliegen vieler Kulturschaffender ist es, die Vernetzung untereinander zu stärken. Auch geht es um die städtischen Möglichkeiten zur Unterstützung von Vereinen, die in Leonberg maßgebliche Kulturakteure sind – zum Beispiel durch die Überarbeitung der städtischen Vereinsförderrichtlinien. Um nur ein paar Anliegen zu nennen. Apropos Corona-Krise: Welche konkreten Möglichkeiten sehen Sie, unverschuldet in Existenznöte geratene Kulturschaffende seitens der Stadt zu unterstützen? Zunächst einmal weise ich darauf hin, dass es ja schon diverse Hilfsprogramme von Land und Bund gibt. Die Rolle der Stadt wäre dabei, zu beraten und zu informieren, an wen sich die betroffenen Kulturschaffenden wenden können. Das heißt natürlich nicht, dass wir nur passiv beraten. Darüber hinaus gehen wir mit dem Thema „ausgefallene Honorare“ sozialverträglich um und bemühen uns auch um das Nachholen von abgesagten Veranstaltungen, falls damit Einnahmeausfälle für Künstler verbunden waren. Bei Ihrer vorangegangenen Tätigkeit im Kulturamt der Stadt Esslingen haben Sie sich mit der Entwicklung einer Strategie befasst, die den Bürgerinnen und Bürgern eine bessere Teilhabe an der städtischen Kulturlandschaft ermöglicht. Inwiefern könnten von Ihren Erkenntnissen auch die Leonberger profitieren? Sicherlich ist es so, dass die Erfahrungen im Bereich der kulturellen Teilhabe in der einen Stadt in gewisser Weise auch auf andere Städte übertragbar sind. Dann geht es vor allem darum, Menschen für kulturelle Teilhabe zu begeistern. Eine wichtige – allerdings nicht neue – Erkenntnis ist, dass Kunst- und Kulturangebote in der Regel hauptsächlich von ganz bestimmten gesellschaftlichen Gruppen in Anspruch genommen werden. Ziel muss es sein, für eine höhere Durchlässigkeit zu sorgen. Wenn Sie so wollen eine stärkere Demokratisierung von Kunst. In Esslingen gibt es ein großes Kooperationsinteresse zwischen stadtgesellschaftlichen Akteuren und Einrichtungen aus dem Sozial- und Kulturbereich sowie dem Bildungsbereich. Zwar bin ich nun noch neu in Leonberg, habe jedoch schon viele Signale vernommen, dass es in Leonberg ähnlich ist. Welche Funktion und Bedeutung hat aus Ihrer Sicht die Kultur in einem Mittelzentrum wie Leonberg? Sicher nicht nur eine, sondern sehr vielfältige Funktionen: Die Kultur ist zum Beispiel ein Impulsgeber für die Freizeitgestaltung und für das individuelle Seelenleben abseits der täglichen Arbeit. Es geht um Tradition und Identitätsstiftung. Aber auch ein bisschen um Reibung und kreative Störung, was meiner Meinung nach einer Stadtgesellschaft von Zeit zu Zeit gut tut. Die Auseinandersetzung auch mit unbequemen Themen ist wichtig. Welche Rolle spielt in Ihren Überlegungen zur Zukunft der Kultur in Leonberg die freie Kulturszene, seien es freischaffende Künstler, Musiker oder andere Selbstständige im Kulturbereich? Da ich selbst aus der freien Kulturszene komme, liegen mir diese Akteure sehr am Herzen. Ich denke darüber nach, was getan werden kann, um die Freischaffenden zu stärken und ihnen einen Raum zu schaffen, in dem sie produktiv arbeiten können. Ich halte sie für wesentliche Impulsgeber, weil es in einem Mittelzentrum wie Leonberg nun mal keine Institutionen wie ein Stadttheater oder eine Kunstakademie gibt. Hier kommen die Impulse im Wesentlichen von den freien Kulturschaffenden. Ob freischaffend oder angestellt: Worauf legen Sie beim Umgang mit den Kulturschaffenden Wert? Mir ist ein respektvoller Umgang auf Augenhöhe wichtig. Die Augenhöhe ergibt sich vor allem daraus, dass gemeinsam versucht wird, Ziele auszuloten und diese dann auch partnerschaftlich umzusetzen. Ebenso ist es wichtig, dass wir als Stadt auch mal Zuschüsse zur Verfügung stellen, mit denen die kulturellen Akteure vergleichsweise frei agieren können. Fällt Ihnen dafür ein Beispiel ein? Nehmen wir an, Sie und Ihr Kulturverein möchten eine neue, interdisziplinäre Veranstaltungsreihe mit Tanz, Musik und Literatur ins Leben rufen. Dann entwickeln Sie ein Konzept und beantragen bei uns eine Förderung. Wir können Sie sowohl finanziell als auch inhaltlich unterstützen. Sie sind nicht nur studierter Kulturmanager, sondern haben auch ein