„Kulturelle Basisarbeit ist schützenswert“
KKL-Interview: Der Leonberger Maler und Bildhauer Hans Mendler über seine Verbindungen zur ersten Künstlergeneration in der alten Schuhfabrik „Kulturelle Basisarbeit ist schützenswert“ Herr Mendler, erlauben Sie in der gegenwärtig vor allem für viele Künstler angespannten Situation eine Frage vorneweg: Wie kommen Sie in der Coronakrise zurecht? Hans Mendler: Ich beziehe zum Glück eine Rente aus 34 Jahren Kunsterzieher am Leonberger Keplergymnasium. Außerdem laufen bei mir die Geschäfte ganz ordentlich weiter. Natürlich war es enttäuschend, dass laufend Veranstaltungen abgesagt werden mussten, Ausstellungen im Mai, Oktober und November. Auch mein traditionelles Atelierfest am ersten Adventswochenende. Das war traurig. Aber man findet sich damit ab. Jetzt haben wir die Hoffnung, dass wir im Juni dieses Jahres vielleicht unser Atelierfest nachholen können. Also war 2020 trotz Corona für Sie kein verlorenes Jahr …? Nein. Ich konnte wenigstens eine sehr schöne Ausstellung mit dem Weil der Städter Kunstforum für ein befreundetes Künstlerpaar aus dem ungarischen Pécs organisieren. Die fand Mitte September, quasi in letzter Minute, in der Wendelinskapelle statt und war sehr erfolgreich. Andererseits fiel meine eigene Skulpturenausstellung im Mai in der Gärtnerei Kriesten aus. Da wollten wir zum einen 50 Jahre Kriesten und zum anderen mit vielen Gästen meinen 70. Geburtstag feiern. Aber auch das wollen wir nachholen. In anderer Form natürlich, aber das ist ja nicht existenzbedrohend. Welche Erinnerungen haben Sie an die ehemalige Schuhfabrik in der Eltinger Straße? Sie kannten ja einige der dort im sogenannten „Glaskasten“ tätigen Künstler der ersten Stunde. Ja, das waren teilweise Schüler von mir. Matthias Keller zum Beispiel hat am Keplergymnasium Abitur gemacht. Es gab auch Kunsterzieherkollegen, die öfters dort waren. Sie waren ja Gründungsmitglied der 1983 in Leonberg gegründeten Künstlerkooperative DIE GRUPPE, deren Mitinitiator, der rumänischstämmige Maler András Márkos, längere Zeit in der Schuhfabrik künstlerisch aktiv war. Gehörten Sie auch zu den Malern, die dort ihr Atelier hatten? Nein, ich hatte mein Atelier seit 1979 in der anderen damals noch existierenden alten Schuhfabrik in der Bahnhofstraße. Da war damals auch eine Szenekneipe drin. Vom damaligen Fabrikeigentümer, dem „Onkel Gide“, hatte ich die ehemalige Fabrikkantine im hangseitigen Bereich gemietet. Zweieinhalb Jahre habe ich dort gearbeitet und gelebt. Dann hat sich abgezeichnet, dass alles abgerissen wird. Ich bin dann mit meinem Atelier in die Gebersheimer Straße umgezogen. Wenn Sie nicht selbst in der Schuhfabrik an der Eltinger Straße aktiv waren, wie kam dann der Kontakt zu den dortigen Künstlern zustande? Über die Galerie LeonArt, die Anfang der 1980er Jahre sozusagen die Nachfolge der Leonberger „Galerie 6“ angetreten hatte. Die war in den 1970er Jahren deutschlandweit und sogar international anerkannt. Die Galerie LeonArt lag ja nur wenige Schritte von meinem Atelier in der Bahnhofstraße entfernt in dem Haus am Hang gegenüber vom früheren Blumenladen. Und der Galerist Paul Prexler hat mich, wenn Sie so wollen, entdeckt. 1981 hatte ich in seinem zur Galerie umgestalteten Gewölbekeller meine erste Einzelausstellung. Dann später zusammen mit meinen Künstlerfreunden Wolfgang Thiel und Peter Degendorfer. Unabhängig davon stellte auch András Márkos bei LeonArt aus. Eines Tages fragte er mich, ob ich bei einer Künstlergruppe mitmachen würde, und ich habe Ja gesagt. So habe ich auch die anderen, Frederick Bunsen aus El Paso, Norbert Fleischmann aus Wien, Adrian Buba aus Paris und Gert Fabritius, der damals in Stuttgart lebte, kennengelernt. Wie war Ihr Verhältnis zu Markós und den anderen GRUPPE-Künstlern? Zunächst gilt es festzuhalten, dass wir künstlerisch nie auf einer Linie lagen, jeder hat weiter sein eigenes Ding gemacht. Die GRUPPE war eine reine Zweckgemeinschaft. Wir hatten die klare Idee, dass wir uns gegenseitig beim Marketing unterstützen und zusammen reich werden wollten. (lacht) Ich fand die Idee gut und ehrlich. Man kann ja auch mal zugeben, dass man seine Kunst verkaufen will. Wir haben also Teilhaber und Sponsoren gesucht und auch gefunden. So haben wir zum Beispiel eine Mappe mit Radierungen gedruckt, diese an Freunde von mir verkauft und damit 1984 eine Ausstellung in Paris finanziert. Ich war ja der Schwabe in der Gruppe und daher fürs Geld zuständig. (schmunzelt) Heißt das, dass Ihre Mitgliedschaft in der GRUPPE keinerlei Einfluss auf Ihr eigenes künstlerisches Schaffen hatte? So würde ich es nicht ausdrücken. Wenn man mit einem Energiebündel wie Márkos zusammentrifft, erlebt man schon einiges. Das muss man verarbeiten. Er hatte einen oft sehr unkonventionellen Blick auf die deutsche Gesellschaft. Dann Bunsen mit seiner Vorliebe für Philosophie und Fabritius, der ein sehr klassisch arbeitender und geschichtsbewusster Mann ist. Márkos war damals wild entschlossen, ein weltbewegender Künstler zu werden. Was das Künstlerische angeht: Wenn man Márkos gesehen hat, mit welcher Freiheit und Urkraft er gearbeitet hat, das war schon beeindruckend. Ich habe mich damals im anregenden Spannungsfeld zwischen der rein gestischen Malerei eines András Márkos, der gestisch-abstrakten Herangehensweise Bunsens und dem figürlichen Ausdruck eines Gert Fabritius bewegt. Dazu kam eine tiefer gehende Freundschaft mit dem Wiener Norbert Fleischmann und dessen sehr ernsthafter, stark reduzierter Kunst. Das hat mich schon beeinflusst. Erinnern Sie sich an Themen, die Sie damals beschäftigt haben? Eine spurenhafte Malerei, in der Teile von menschlichen Figuren, Restfiguren, Kultgegenständen oder Fundstücken auftauchen, das war meine Welt damals. Aber mir wurde dann auch relativ schnell klar, dass das anfangs aufbauende Verhältnis zu Márkos ins Destruktive abzurutschen begann. Was meinen Sie damit? Ich meine die Vorstellung, dass man mit Beziehungen alles erreichen kann, um berühmt zu werden. Das war nicht mein Weg. Márkos wurde geradezu aufgefressen von der Idee, dass man sich den Status eines Gerhard Richter oder Anselm Kiefer hinorganisieren und quasi erzwingen kann. Dabei wird man schizophren und am Ende glaubt man seine eigenen Phantastereien. Deshalb war ich letztlich froh, als es 1996 zu Ende war. Was bleibt aus Ihrer Sicht von den Aktivitäten der GRUPPE in der alten Schuhfabrik? Márkos hatte die Räumlichkeiten im „Glaskasten“ genutzt, um eine riesige Tiefdruckmaschine aufstellen zu lassen, und er hatte sogar einen hauptberuflichen Drucker angestellt. Da wurden mehrfarbige Editionen gedruckt, das war schon eine schöne Sache. Zum Beispiel ein Buch mit original Lithographien zu Texten des ungarischen Literaten Kanyadi „Vae Victis“ (lateinisch „Wehe den Besiegten“). 1993 auch eine Mappe von DIE GRUPPE mit großformatigen, mehrfarbigen Radierungen mit
Respektvoller Umgang auf Augenhöhe
Respektvoller Umgang auf Augenhöhe KKL-Interview: Der neue Leiter des Leonberger Amts für Kultur und Sport, Jonas Pirzer, über Kultur und die lokale Kulturszene Mit dem Amtsantritt von Jonas Pirzer an der Spitze des Amts für Kultur und Sport am 1. April 2020 ging eine monatelange Vakanz zu Ende. Was für ein Mensch ist der neue Amtsleiter, was bewegt ihn und in welche Richtung könnte sich die Leonberger Kulturszene unter seiner Obhut entwickeln? Ein KKL-Gespräch mit dem 34-jährigen Kulturmanager und Musiker gibt erste Aufschlüsse. Herr Pirzer, Sie sind gebürtiger Münchner, obwohl man das nicht hört. Wie kommen Sie mit der schwäbischen Mundart zurecht? Jonas Pirzer: Ganz gut. Ich mag Dialekt. Vielleicht weil ich selbst keinen habe. Mein Vater kommt zwar aus einer Münchner Familie, aber meine Mutter aus Nordrhein-Westfalen, insofern hat man sich zuhause auf Hochdeutsch geeinigt. Dabei ist mein Schwäbisch, glaube ich, für einen Nichtschwaben vergleichsweise gut. Als Süddeutscher habe ich keine großen Probleme, die hiesigen Dialektvarianten zu verstehen. Obwohl, wenn ich daran denke, wie ich vor dem Studium mal auf der Schwäbischen Alb gejobbt habe – da hat mich die Mundart doch ein wenig herausgefordert. (schmunzelt) Was gefällt Ihnen an Leonberg und seinen Bewohnern? Da muss ich fairer Weise sagen, dass ich noch lange nicht genug von Leonberg und seinen Bewohnern kennengelernt habe. Aber ich bin natürlich zuversichtlich, dass sich das in den nächsten Jahren ändert. Was mir gefällt, ist die Ortsverbundenheit. Mir ist relativ schnell klar geworden, dass Leonberg auch aus seinen eingemeindeten Ortschaften besteht. Dass die Menschen sich weiterhin mit ihrer Ortschaft identifizieren, bringt eine gewisse Kontinuität mit sich, die ich sehr sympathisch finde. Als Amtsleiter sind Sie sowohl für Kultur als auch für Sport zuständig? Sind das zwei separate Bereiche oder sehen Sie zwischen beiden auch Schnittmengen? Aus meiner Sicht ist beides richtig. Es gibt natürlich Schnittmengen. Deshalb ist es auch gut, dass beide Bereiche verwaltungstechnisch verbunden sind. Sowohl Sport als auch Kultur spielen im Leben der Menschen eine wichtige Rolle, weil sie Identität stiften. Das haben beide gemeinsam. Trotzdem gibt es natürlich nicht immer nur überlappende Bereiche, sondern auch unterschiedliche Interessen und Akteure, die auch das Recht haben, unterschiedlich wahrgenommen und betreut zu werden. Mittlerweile haben Sie Vertreter beider Bereiche kennengelernt. Welche großen Anliegen und Wünsche aus dem Kulturbereich wurden bislang an Sie herangetragen? Momentan geht es natürlich viel um Unterstützung in der gegenwärtigen Corona-Zeit. Aber, wie Sie wissen, auch um die Frage: Wie geht es weiter mit der alten Schuhfabrik? Ein grundsätzliches Anliegen vieler Kulturschaffender ist es, die Vernetzung untereinander zu stärken. Auch geht es um die städtischen Möglichkeiten zur Unterstützung von Vereinen, die in Leonberg maßgebliche Kulturakteure sind – zum Beispiel durch die Überarbeitung der städtischen Vereinsförderrichtlinien. Um nur ein paar Anliegen zu nennen. Apropos Corona-Krise: Welche konkreten Möglichkeiten sehen Sie, unverschuldet in Existenznöte geratene Kulturschaffende seitens der Stadt zu unterstützen? Zunächst einmal weise ich darauf hin, dass es ja schon diverse Hilfsprogramme von Land und Bund gibt. Die Rolle der Stadt wäre dabei, zu beraten und zu informieren, an wen sich die betroffenen Kulturschaffenden wenden können. Das heißt natürlich nicht, dass wir nur passiv beraten. Darüber hinaus gehen wir mit dem Thema „ausgefallene Honorare“ sozialverträglich um und bemühen uns auch um das Nachholen von abgesagten Veranstaltungen, falls damit Einnahmeausfälle für Künstler verbunden waren. Bei Ihrer vorangegangenen Tätigkeit im Kulturamt der Stadt Esslingen haben Sie sich mit der Entwicklung einer Strategie befasst, die den Bürgerinnen und Bürgern eine bessere Teilhabe an der städtischen Kulturlandschaft ermöglicht. Inwiefern könnten von Ihren Erkenntnissen auch die Leonberger profitieren? Sicherlich ist es so, dass die Erfahrungen im Bereich der kulturellen Teilhabe in der einen Stadt in gewisser Weise auch auf andere Städte übertragbar sind. Dann geht es vor allem darum, Menschen für kulturelle Teilhabe zu begeistern. Eine wichtige – allerdings nicht neue – Erkenntnis ist, dass Kunst- und Kulturangebote in der Regel hauptsächlich von ganz bestimmten gesellschaftlichen Gruppen in Anspruch genommen werden. Ziel muss es sein, für eine höhere Durchlässigkeit zu sorgen. Wenn Sie so wollen eine stärkere Demokratisierung von Kunst. In Esslingen gibt es ein großes Kooperationsinteresse zwischen stadtgesellschaftlichen Akteuren und Einrichtungen aus dem Sozial- und Kulturbereich sowie dem Bildungsbereich. Zwar bin ich nun noch neu in Leonberg, habe jedoch schon viele Signale vernommen, dass es in Leonberg ähnlich ist. Welche Funktion und Bedeutung hat aus Ihrer Sicht die Kultur in einem Mittelzentrum wie Leonberg? Sicher nicht nur eine, sondern sehr vielfältige Funktionen: Die Kultur ist zum Beispiel ein Impulsgeber für die Freizeitgestaltung und für das individuelle Seelenleben abseits der täglichen Arbeit. Es geht um Tradition und Identitätsstiftung. Aber auch ein bisschen um Reibung und kreative Störung, was meiner Meinung nach einer Stadtgesellschaft von Zeit zu Zeit gut tut. Die Auseinandersetzung auch mit unbequemen Themen ist wichtig. Welche Rolle spielt in Ihren Überlegungen zur Zukunft der Kultur in Leonberg die freie Kulturszene, seien es freischaffende Künstler, Musiker oder andere Selbstständige im Kulturbereich? Da ich selbst aus der freien Kulturszene komme, liegen mir diese Akteure sehr am Herzen. Ich denke darüber nach, was getan werden kann, um die Freischaffenden zu stärken und ihnen einen Raum zu schaffen, in dem sie produktiv arbeiten können. Ich halte sie für wesentliche Impulsgeber, weil es in einem Mittelzentrum wie Leonberg nun mal keine Institutionen wie ein Stadttheater oder eine Kunstakademie gibt. Hier kommen die Impulse im Wesentlichen von den freien Kulturschaffenden. Ob freischaffend oder angestellt: Worauf legen Sie beim Umgang mit den Kulturschaffenden Wert? Mir ist ein respektvoller Umgang auf Augenhöhe wichtig. Die Augenhöhe ergibt sich vor allem daraus, dass gemeinsam versucht wird, Ziele auszuloten und diese dann auch partnerschaftlich umzusetzen. Ebenso ist es wichtig, dass wir als Stadt auch mal Zuschüsse zur Verfügung stellen, mit denen die kulturellen Akteure vergleichsweise frei agieren können. Fällt Ihnen dafür ein Beispiel ein? Nehmen wir an, Sie und Ihr Kulturverein möchten eine neue, interdisziplinäre Veranstaltungsreihe mit Tanz, Musik und Literatur ins Leben rufen. Dann entwickeln Sie ein Konzept und beantragen bei uns eine Förderung. Wir können Sie sowohl finanziell als auch inhaltlich unterstützen. Sie sind nicht nur studierter Kulturmanager, sondern haben auch ein
Die Kunst spricht förmlich durch die Wände
Die Kunst spricht förmlich durch die Wände KKL-Interview: Kunstprofessor Frederick D. Bunsen über die erste Künstlergeneration in der Alten Schuhfabrik Herr Professor Bunsen, lieber Frederick, welche Bedeutung hatte aus Ihrer Sicht die 1979 stillgelegte Süddeutsche Schuhfabrik für die Künstlerszene in Leonberg in den 1980er Jahren? Frederick Bunsen: Darüber möchte ich mir kein abschließendes Urteil erlauben. Was man aber sicher sagen kann, ist, dass es in der Schuhfabrik bereits den legendären „Glaskasten“ gab. Das war ein 1981 von Bernd Mack und anderen gegründeter Kunstverein mit angeschlossenen Künstlerateliers. Da waren zu dieser Zeit und auch später noch Werke von Künstlern zu sehen, die man sonst nirgends zu sehen bekam. Insofern hatte die frühere Schuhfabrik eine wichtige Funktion bei der Verbreitung junger, noch nicht etablierter, avantgardistischer zeitgenössischer Kunst. Ich denke zum Beispiel an eine Ausstellung des rumänisch-stämmigen Bildhauers und „Glaskasten“-Mitbegründers Johannes Kares im Jahr 1981. Kares hat später bekanntlich die 2005 errichtete monumentale „Namenswand“ aus Stahl vor der KZ-Gedenkstätte am alten Engelbergtunnel geschaffen.