LKZ-Artikel vom 12.04.2022
Künstler kämpfen um die Schuhfabrik
Von Thomas K. Slotwinski
Die Künstler in der alten Schuhfabrik in der Leonberger Innenstadt geben nicht auf. Sie werben weiterhin dafür, dass die einstige Produktionsstätte „ein Ort der Vielfalt und des interkulturellen Austauschs“ wird. Dafür haben sie einen eigenen Verein gegründet, dessen Name Motto ihres Projektes ist: Kulturfabrik Leonberg. Die Aktiven um die Vereinsvorstände Chris Heinemann und Karin Albrecht haben einen Brief an den Oberbürgermeister und die Stadträte geschrieben, in dem sie eindringlich davor warnen, die Entwicklung des Gebäudes ausschließlich einem privaten Investor zu überlassen. Denn so sieht im Moment die politische Beschlusslage aus.
Mühevoller Kompromiss
Es war ein mühevoller Kompromiss, zu dem sich vor knapp einem Jahr der Gemeinderat durchgerungen hat: Die westlichen und östlichen Teile des Gebäude an der Einmündung der Steinstraße in die Eltinger Straße sollen abgerissen werden. Der Kernbereich, in dem bis zum Jahr 1977 noch Schuhe hergestellt wurden, bleibt hingegen erhalten. Geplant sind dort Wohnungen in bester Lage am Rande der Altstadt und direkt gegenüber des künftigen Quartiers Postareal. Aber auch die Künstler, die in dem genau 125 Jahre alten Gebäude ihre Ateliers haben, dürfen hoffen, in einer umgestalteten Schuhfabrik präsent zu sein.
Investor soll Generalsanierung stemmen
Doch die Neugestaltung des alten Gebäudes soll nicht unter städtischer Regie laufen. Dafür, so sieht es die große Mehrheit im Gemeinderat, fehlt der stark schuldenbelasteten Stadt schlicht das Geld. Ein privater Investor soll eine Generalsanierung, die vor einem Jahr mit gut sieben Millionen Euro veranschlagt war, übernehmen. In dessen Plänen soll aber sichergestellt werden, dass die Kultur weiterhin einen Platz im einstigen Fabrikgebäude hat. Doch genau daran glauben die Aktiven des Vereins Kulturfabrik nicht. Die Lange Kunstnacht Anfang Mai hatten sie dafür genutzt, Besucher auf ihre Lage hinzuweisen und um Unterschriften zu bitten. Insgesamt 149 sind so zustande gekommen.
Auch andere Vereine haben unterschrieben
Auch elf regionale und sieben Leonberger Kulturvereine setzen sich für eine Schuhfabrik als Kulturstätte ein. Sie alle haben den offenen Brief mitunterzeichnet, den jetzt die Vereinsspitze beim Oberbürgermeister abgegeben hat. „Es steht zu befürchten, dass sich rein kommerzielle Gewinninteressen durchsetzen und hochpreisige Büro- und Wohnräume auf Kosten der Kultur entstehen“, argumentiert der Verein in dem Brief.
Städtetag sieht Kultur als Standortfaktor
Die Vorstände Heinemann und Albrecht berufen sich dabei auch auf ein Positionspapier des Deutschen Städtetages, dem Leonberg angehört, aus dem Jahr 2015: „Politische Entscheidungen zur kulturellen Infrastruktur sind eine verantwortungsvolle Aufgabe, weil sie das Lebensumfeld aller Bürger betreffen und im Wettbewerbe der Städte um Fachkräfte und Unternehmen eine hohe Bedeutung als Standortfaktort gewinnen“, heißt es dort. Und weiter: „Der Verbetriebswirtschaftlichung öffentlicher Räume ist zugunsten von Räumen der Begegnung und des Austausches entgegenzuwirken.“ Deshalb, so fordert der Verein Kulturfabrik, solle die Stadt die Zukunft der Schuhfabrik „nicht komplett den finanziellen Interessen eines Investors überlassen, sondern sich dafür einzusetzen, dass ein Teil des Gebäudekomplexes von der Stadt übernommen oder angemietet wird, um diese Räume preisgünstig sozio-kulturellen Einrichtungen zur Nutzung zu überlassen.“
Cohn lobt Initiative
Zumindest beim Oberbürgermeister stoßen die Initiatoren auf offene Ohren. „Ich finde es großartig, dass sich die Bürgerinnen und Bürger zu einem Verein zusammengeschlossen haben und sich für ihre Ziele einsetzen“, sagt Martin Georg Cohn (SPD). „Das ist gelebte Demokratie.“ Gemeinsam mit dem Gemeinderat werde man das Schreiben nun in der nächsten Sitzung diskutieren. Damit verlässt der Sozialdemokrat Cohn zumindest in der Tendenz die bisherige Linie seiner Partei. Hatte doch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Christa Weiß den Grünen, die das Anliegen der Künstler schon immer unterstützt haben, vor einem Jahr vorgeworfen, angesichts der leeren Stadtkasse „traumtänzerisch unterwegs“ zu sein.